Im nachfolgenden Beitrag informiert Fachanwalt Strafrecht München Volker Dembski über die Ausnahmevorschriften des Jugendgerichtsgesetztes (JGG) im Jugendstrafverfahren.
1. Jugendstrafrecht (JGG)
Im Jugendgerichtsgesetz sind gemäß § 2 JGG Ausnahmevorschriften von den Regelungen des allgemeinen Strafrechts in materiellrechtlicher, prozessrechtlicher und gerichtsverfassungsrechtlicher Hinsicht enthalten, jedoch keine Vorschriften über Straftatbestände. Insoweit gelten gemäß § 1 Abs. 1 JGG das allgemeine Strafrecht sowie das Nebenstrafrecht. Das Jugendgerichtsgesetz findet gemäß § 1 Abs. 2 JGG Anwendung, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Straftat begeht. Entscheidend ist das Alter zur Tatzeit. Personen unter vierzehn Jahren sind strafunmündig, d. h. es wird bereits kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da es gemäß § 19 StGB an der Schuldfähigkeit fehlt. Fehlverhaltensweisen von Kindern unter vierzehn Jahren kann nur mit Angeboten des Jugendhilferechts im Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und den Eingriffsmöglichkeiten des Vormundschaftsrechts (§ 1666 BGB) entgegen getreten werden. Bei Jugendlichen tritt gemäß § 12 JGG das Jugendhilferecht neben das Jugendstrafrecht. Im Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt. Durch die Anwendung des Jugendstrafrechts soll neuen Straftaten entgegen gewirkt werden. Eine erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen mit Mitteln des Jugendstrafrechts ist aber nur zulässig, soweit dies für ein Leben ohne Straftaten erforderlich ist. Die Rechtsfolgen einer Jugendstraftat werden in den §§ 5, 6, 7 JGG abschließend aufgezählt. Es gelten die Grundsätze der der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts finden keine Anwendung. Zur Auswahl stehen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Jugendstrafe, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt, Sicherungsverwahrung, Führungsaufsicht, Entziehung der Fahrerlaubnis und Nebenfolgen. Grundsätzlich gilt im Verhältnis zum Erwachsenenstrafrecht das Verbot der Schlechterstellung. Es gibt allerdings gesetzlich geregelte Ausnahmen. In der Gesamtschau ist das Jugendstrafrecht aber regelmäßig milder. Unter bestimmten Voraussetzungen kann im Jugendstrafrecht gegen Jugendliche gemäß den §§ 76 bis 78 JGG ein vereinfachtes Jugendverfahren durchgeführt werden. Gegen Heranwachsende darf ein vereinfachtes Jugendverfahren nicht durchgeführt werden. Gemäß § 80 Abs. 1 JGG kann gegen einen Jugendlichen Privatklage nicht erhoben werden. Die Nebenklage ist gemäß § 80 Abs. 3 JGG nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Gemäß § 81 JGG findet ein Adhäsionsverfahren (§§ 404 bis 406c StPO) gegen Jugendliche nicht statt. Gegen Heranwachsende sind Privatklage, Nebenklage und Adhäsionsverfahren unbeschränkt zulässig. Gemäß § 79 Abs. 1 JGG ist gegen Jugendliche das Strafbefehlsverfahren (§§ 407 bis 412 StPO) unzulässig. Wenn bei einem Heranwachsenden Erwachsenenstrafrecht angewendet wird, kann zwar ein Strafbefehl erlassen werden, allerdings gemäß § 109 Abs. 3 JGG keine Freiheitsstrafe verhängt werden. Das beschleunigte Verfahren (§§ 417 bis 420 StPO) darf nur gegen Heranwachsende durchgeführt werden. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt für das Verwaltungsverfahren und die Rechtsfolgen das OWiG, im Übrigen findet aber das JGG Anwendung. Straftaten junger Täter lassen sich oftmals auf die schwierige Umorientierungsphase im Zuge des Erwachsenwerdens
zurückführen. Jugenddelinquenz ist unabhängig von sozialer Schichtzugehörigkeit und Nationalität. Zumeist handelt es sich um ein nur vorübergehendes Erscheinungsbild. Typische Jugenddelikte sind Diebstahl, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Verkehrsdelikte und Betäubungsmitteldelikte. Ein besonderes Erscheinungsbild sind Gruppendelikte. Hier werden die jugendlichen oder heranwachsenden Täter aus einer Gruppendynamik heraus zu Handlungen verleitet, die ihnen als Individuum persönlichkeitsfremd erscheinen. Nicht selten stehen Jugenddelikte auch in Zusammenhang mit Alkohol- oder Drogenkonsum. Bei Tätern mit Migrationshintergrund müssen die konkreten Lebensumstände berücksichtigt werden. Ein Sonderproblem stellen junge Intensivtäter dar.
a. Verantwortungsreife bei Jugendlichen (§ 3 JGG)
Ein Täter zählt als Jugendlicher, wenn er zur Zeit der Tat mindestens vierzehn Jahre alt ist, aber das achtzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Heranwachsender ist, wer zur Tatzeit mindestens achtzehn Jahre alt ist, aber das einundzwanzigste Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Bei Jugendlichen muss zusätzlich gemäß § 3 JGG die Verantwortungsreife festgestellt werden. Es ist daher zu prüfen, ob der Jugendliche nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung zum Tatzeitpunkt reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB sind unabhängig von der Verantwortungsreife zu prüfen. Bei fehlender Verantwortungsreife ist das Verfahren einzustellen oder freizusprechen. Wenn gleichzeitig auch die Schuldfähigkeit fehlt, kann es zur Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung kommen.
b. Reifeverzögerung oder Jugendverfehlung bei Heranwachenden (§ 105 JGG)
Begeht ein Heranwachsender eine Straftat, kommt das Jugendgerichtsgesetz gemäß § 105 JGG nur dann zur Anwendung, wenn er zur Tatzeit entweder in der Entwicklung einem Jugendlichen gleichgestanden ist oder es sich um eine Jugendverfehlung gehandelt hat. Eine Jugendverfehlung kann sich sowohl aus objektiven als auch aus subjektiven Gesichtspunkten ergeben. Maßgeblich sind Tatausführung, Tatumstände und Täterpersönlichkeit. Beispielsweise kann die Tat Ausdruck von falsch verstandener Freundschaft oder von Imponiergehabe sein oder auf mangelndem Widerstandsvermögen beruhen. Im Zweifel ist Jugendstrafrecht anzuwenden. Eine Reifeverzögerung liegt vor, wenn die Gesamtwürdigung des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen oder geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleich stand. Anhaltspunkte können anhand nachfolgender Kriterien gewonnen werden: realistische Lebensplanung, ernsthafte Einstellung zur Ausbildung, Realistische Alltagsbewältigung, Eigenständigkeit, Freundeskreis, Bindungsfähigkeit, Urteils- und Einsichtsfähigkeit. Auch hier ist im Zweifel Jugendstrafrecht anzuwenden. Jugendstrafrecht findet aber keine Anwendung, wenn keine weitere Reifeentwicklung mehr zu erwarten ist. Wenn auf einen Heranwachsenden Erwachsenenstrafrecht angewendet wird, kann eine lebenslange Freiheitsstrafe gemäß § 106 JGG auf eine zeitige Freiheitsstrafen von 10 bis 15 Jahren herabgesetzt werden. Außerdem kann Sicherungsverwahrung nur vorbehalten oder nachträglich angordnet werden.
3. Sanktionen (§ 5 JGG)
Im Jugendstrafrecht können gemäß § 8 JGG verschiedene Rechtsfolgen miteinander kombiniert werden. Die Sanktionsmöglichkeiten im Jugendgerichtsgesetz dienen nicht dem Schuldausgleich, sondern sind erziehungs- und zukunftsorientierte Maßnahmen. Zu unterscheiden ist gemäß § 5 JGG zwischen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe.
a. Erziehungsmaßregeln (§ 9 JGG)
Bei den Erziehungsmaßregeln kommen gemäß § 9 JGG zum einen die Erteilung von Weisungen, zum anderen die Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung in Betracht. Weisungen sind gemäß § 10 JGG Gebote, welche die Lebensführung des Jungendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen, wobei an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen. Kommt der Jugendliche Weisungen schuldhaft nicht nach, kann er gemäß § 11 Abs. 3 JGG mit Ungehorsamsarrest belegt werden. Praxisrelevant sind die Erbringung von Arbeitsleistungen, die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs und die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Der Katalog der Weisungen ist aber nicht abschließend. So kann der Jugendliche beispielsweise vom Jugendrichter auch angewiesen werden, keine Drogen zu konsumieren und sich Urinkontrollen zu unterziehen. Gemäß § 11 Abs. 2 JGG kann der Jugendrichter die erteilte Weisung nachträglich ändern. Hilfe zur Erziehung gemäß § 12 JGG sind Verpflichtungen nach Anhörung des Jugendamtes in Form der Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII oder in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sonstigen Wohnform im Sinne des § 34 SGB VIII.
b. Zuchtmittel (§ 13 JGG)
Zuchtmittel sind gemäß § 13 JGG ein eindringlicher tatbezogener Mahn- und Ordnungsruf. Zu unterscheiden ist zwischen der Verwarnung, der Erteilung von Auflagen und dem Jugendarrest. Durch die Verwarnung soll gemäß § 14 JGG das Unrecht der Tat eindringlich vorgehalten werden. Sofern alle Verfahrensbeteiligten auf Richtsmittel verzichten, wird die Verwarnung im Anschluss an Urteilsverkündung ausgesprochen. Andernfalls erfolgt sie in einm gesonderten Verwarnungstermin. Allerdings kann das Erscheinen nicht erzwungen werden. Auflagen sind gemäß § 15 JGG die Schadenswiedergutmachung, die Entschuldigung sowie Arbeits- und Geldauflagen. Dieser Katalog ist abschließend. Die nachträgliche Änderung ist möglich. Die verschuldete Nichterfüllung von Auflagen führt zur Verhängung von Ungehorsamsarrest. Der Jugendarrest gemäß § 16 JGG ist das schärfste Zuchtmittel und kann in Form des Freizeitarrestes (ein oder zwei Wochenenden), Kurzarrestes (zwei bis vier Tage) oder Dauerarrestes (eine bis vier Wochen) verhängt werden. Die Vollstreckung des Arrestes soll möglichst zügig nach Rechtskraft des Urteils erfolgen. Ein Jahr nach Rechtskraft wird die Vollstreckung unzulässig. Bei erlittener Unterbringung oder Untersuchungshaft kann der Jugendrichter anordnen, dass der Arrest nicht vollstreckt wird.
c. Jugendstrafe (§ 17 JGG)
Jugendstrafe ist gemäß § 17 JGG Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt und kann aufgrund schädlicher Neigungen oder wegen der Schwere der Schuld verhängt werden. Jugendstrafe darf nur verhängt werden, wenn mildere Sanktionen nicht ausreichen. Schädliche Neigungen liegen vor, wenn erhebliche Anlage- oder Erziehungmängel die Gefahr begründen, dass der Jugendliche ohne längere Gesamterziehung die Gemeinschaftsordnung durch weitere Straftaten stören wird. Sie müssen vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt gewesen sein, in der Tat sichtbar werden und auch zum Urteilszeitpunkt noch bestehen. Geringfügige Vortaten begründen für sich genommen noch nicht die Annahme schädlicher Neigungen. Geordnete und unbelastete Familienverhältnisse sprechen gegen schädliche Neigungen. Bei der Schwere der Schuld hat der äußere Unrechtsgehalt der Tat keine eigenständige Bedeutung. Es kommt vielmehr darauf an, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Mithilfe des äußeren Unrechtsgehalts der Tat können insoweit Rückschlüsse gezogen werden. Bei Fahrlässigkeitsdelikten kann die Schwere der Schuld nur ausnahmsweise angenommen werden. Auch wenn zum Tatzeitpunkt die Schwere der Schuld gegeben ist, muss die Verhängung von Jugendstrafe zum Urteilszeitpunkt noch erzieherisch erforderlich sein. Allerdings sind bei Kapitaldelikten neben dem Erziehungsgedanken der Sühnegedanke und das Erfordernis gerechten Schuldausgleichs zu beachten. Gemäß § 18 JGG beträgt die Jugendstrafe bei Jugendlichen mindestens 6 Monate und höchstens 5 Jahre. Bei nach Erwachsenenrecht im Höchstmaß mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechen kann bis zu 10 Jahre Jugendstrafe ausgesprochen werden. Bei Heranwachsenden, auf die Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, beträgt gemäß § 105 Abs. 3 JGG das Höchstmaß im Regelfall 10 Jahre, bei Mord 15 Jahre. Die maßgeblichen Kriterien für die Bemessung der Jugendstrafe sind Haltung und Persönlichkeitsbild sowohl zum Tatzeitpunkt als auch zum Urteilszeitpunkt. Generalpräventive Erwägungen sind wegen der erzieherischen Zielsetzung des Jugendstrafrechts unzulässig. Die im Strafgesetzbuch genannten Strafobergrenzen dürfen weder abstrakt noch konkret überschritten werden. Sofern es im Erwachenenstrafrecht zu Strafmilderungen kommen würde, sind diese auch im Jugendstrafrecht zu berücksichtigen. Gemäß § 52a JGG wird erlittene Untersuchungshaft grundsätzlich auf die zu verbüßende Jugendstrafe angerechnet.
aa. Bewährung (§ 21 JGG)
Bei Verurteilung zu einer Jugendstrafe bis zu einem Jahr setzt das Gericht gemäß § 21 Abs. 1 JGG die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass sich der Jugendliche bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne Strafvollzug unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände der Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von einer Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Bei einer Verurteilung zu einer höheren Jungendstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, ist die Strafe gemäß § 21 Abs. 2 JGG ebenfalls zur Bewährung auszusetzen, wenn nicht ausnahmsweise die Vollstreckung der Strafe im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen geboten ist. Die Dauer der Bewährungszeit hat gemäß § 22 JGG zwischen zwei und drei Jahren zu liegen. Dem Jungendlichen sollen gemäß § 23 JGG für die Dauer der Bewährungszeit zur Erziehung und Ahndung Auflagen und Weisungen erteilt werden. Bei schuldhafter Nichtbeachtung kann ein Ungehorsamsarrest verhängt werden. Außerdem ist der Jugendliche gemäß § 24 JGG für die Dauer von höchstens zwei Jahren der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen. Gemäß § 26 JGG kann die Bewährung widerrufen werden, wenn der Verurteilte gröblich oder beharrlich gegen Weisungen oder Auflagen verstößt oder neue Straftaten begeht. Andernfalls wird die Jugendstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit gemäß § 26a JGG erlassen. Vor einem Widerruf ist der Verurteilte gemäß § 58 JGG anzuhören. Der Widerruf der Bewährung kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Eine zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe kann gemäß § 16 a JGG auch mit der Verhängung eines Warnschussarrestes kombiniert werden.
bb. Vorbewährung (§ 57 JGG)
Das Gericht kann im Urteil die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung gemäß § 57 JGG einem nachträglichen Beschluss vorbehalten. Voraussetzung ist gemäß § 61 Abs. 1 JGG, dass trotz Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten zwar noch keine ausreichende günstige Prognose für eine Bewährungsentscheidung gegeben werden kann, es aber beim Jugendlichen Ansätze in der Lebensführung oder sonstige Umstände gibt, die dafür sprechen, dass eine solche Erwartung in absehbarer Zeit begründet sein wird. Auch wenn die Klärung des Vorliegens einer günstigen Prognose zu erzieherisch nachteiligen oder unverhältnismäßigen Verfahrensverzögerungen führen würde, darf sich das Gericht die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 61 Abs. 2 JGG vorbehalten. Die vorbehaltene Entscheidung ergeht gemäß § 61a JGG spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils. Das Gericht kann mit dem Vorbehalt eine kürzere Höchstfrist festsetzen. Aus besonderen Gründen und mit dem Einverständnis des Verurteilten kann die Frist durch Beschluss auf höchstens neun Monate seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils verlängert werden. Weisungen und Auflagen sind gemäß § 61b JGG zulässig. Die Zeit der Vorbewährung wird auf die Bewährung angerechnet. Gegen den Beschluss ist die Beschwerde zulässig. Wenn im Urteil keine Ausführungen zur Frage der Bewährung gemacht werden, ist dies als stillschweigendes Absehen von einer sofortigen Entscheidung mit dem Vorbehalt einer späteren und endgültigen Prüfung im Beschlussverfahren zu werten. Wird eine Bewährung im Urteil abgelehnt, kann er dagegen mit der sofortigen Beschwerde vorgehen. Eine auf die Bewährungsentscheidung beschränkte Berufung wird entsprechend umgedeutet. Nach Rechtskraft kann eine Aussetzung zur Bewährung nur nach § 57 Abs. 2 JGG erfolgen.
cc. Bewährung ohne Strafe (§ 27 JGG)
Wenn nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob in der Straftat des Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, welche die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich machen, so kann gemäß § 27 JGG die Schuld festgestellt, aber die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe für eine Bewährungszeit ausgesetzt werden. Gemäß § 28 JGG darf die Bewährugnszeit zwei Jahre nicht überschreiten und ein Jahr nicht unterschreiten. Außerdem wird gemäß § 29 JGG zwingend ein Bewährungshelfer bestellt. Gemäß § 30 JGG wird der Schuldspruch bei positivem Bewährungsverlauf im Beschlussverfahren getilgt. Bei Bewährungsversagen kommt es zu einer mündlichen Verhandlung.
4. Einheitsstrafe (§ 31 JGG)
Auch wenn der Jugendliche mehrere Straftaten begangen hat, setzt der Richter im Jugendstrafrecht dem Erziehungsgedanken folgend gemäß § 31 JGG nur eine bestimmte Rechtsfolge oder ein einheitlich aufeinander abgestimmtes Bündel von Maßnahmen fest, damit sich die Rechtsfolgen nicht wechselseitig blockieren können. Die in das neue Urteil einzubeziehnden Verurteilungen dürfen noch nicht vollstreckt oder anderweitig erledigt sein. Die Strafobergrenzen gemäß § 18 JGG und die zulässigen Verbindungsmöglichkeiten von Rechtsfolgen gemäß § 8 JGG sind zu beachten. Die Rechtsfolge nach Einbeziehung darf für den Verurteilten günstiger ausfallen. Eine Begünstigung kann aber auch verhindert werden, indem eine Einbeziehung ausnahmsweise aus erzieherischen Gesichtspunkten unterbleibt. Die Strafobergrenzen finden dann keine Anwendung. Umgekehrt kann aber auch eine Verböserung (Vollzugsstrafe, Jugendstrafe statt Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln) verhindert werden. Eine Einbeziehung kann gemäß § 66 JGG auch nachträglich durch Beschluss oder in mündlicher Hauptverhandlung erfolgen. Eine Einheitsstrafe darf zur Begründung einer späteren Sicherungsverwahrung des dann erwachsenen Täters herangezogen werden. Bei mehreren gleichzeitg abzuurteilenden Straftaten, die in verschiedenen Alters- und Reifestufen begangen worden sind, sodass teilweise Jungendstrafrecht, teilweise Erwachsenenstrafrecht anwendbar ist, muss der Richter gemäß § 32 JGG nach pflichtgemäßen Ermessen abwägen, ob die Tatwurzeln und damit das Schwergewicht der Tat im Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht liegen. Bei der Ermittlung des Schwergewichts kommt es auf das Ergebnis einer Persönlichkeitsbeurteilung und die Bewertung der Tatursachen an. Unaufklärbarkeit für zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht. Ausnahmsweise kann bei Heranwachsenden gemäß § 105 Abs. 2 JGG eine Einheitsstrafe mit einer rechtskräftigen, aber noch nicht erledigten Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht gebildet werden. Im umgekehrten Fall kann eine Gesamtstrafe gebildet werden.
5. Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 7 JGG)
Gegen den Jugendlichen können gemäß § 7 JGG auch Maßregeln der Besserung und Sicherung verhängt werden. In Betracht kommen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder Psychiatrie, Führungsaufsicht und Entziehung der Fahrerlaubnis. Sicherungsverwahrung kann vorbehalten oder nachträglich angeordnet werden. Für Heranwachsende gelten gemäß § 106 JGG weitere Sonderregeln. Neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder Psychiatrie wird gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung von Zuchtmitteln oder Jugendstrafe abgesehen werden, wenn die Maßregelanordnung eine Ahndung entbehrlich macht. Grundsätzlich ist die Maßregel vorweg zu vollziehen, es sei denn, dass eine daneben verhängte Jugendstrafe 3 Jahre übersteigt. Für die Vollstreckung der Maßregel gelten nach § 2 JGG die §§ 67 ff. StGB. Der Maßreglvollzug richtet sich nach landesrechtlichen Vorschriften (BayStVollzugG, BayUnterbrG, BayMRVG).
6. Rechte der Eltern im Jugendstrafverfahren (§ 67 JGG)
Im Strafverfahren gegen Jugendliche haben Eltern gemäß § 67 Abs. 1 JGG Anwesenheits-, Anhörungs-, Frage- und Antragsrechte. Alle Mitteilungen, die an den Jugendlichen vorgeschrieben sind, sollen gemäß § 67 Abs. 2 JGG an auch die Eltern gerichtet sein. Sie haben gemäß § 67 Abs. 3 JGG das Recht, einen Verteidiger zu beauftragen und Rechtbehelfe einzulegen. Gemäß § 67 Abs. 4 JGG kann der Richter den Eltern ihre Rechte entziehen. Nach § 67 Abs. 5 JGG kann jeder Elternteil seine Rechte ausüben. In der Hauptverhandlung wird der abwesende Elternteil als durch den anwesenden vertreten angesehen. Sind Mitteilungen oder Ladungen vorgeschrieben, so genügt es, wenn sie an einen Elternteil gerichtet werden. Nach § 50 Abs. 2 JGG sind die Eltern förmlich zur Hauptverhandlung zu laden und haben dann auch eine Erscheinenspflicht. Gemäß § 51 Abs. 2 JGG kann der Richter die Eltern aber auch von der Hauptverhandlung ausschließen. Der jugendliche Beschuldigte muss von der Polizei unter anderem auch darüber belehrt werden, dass er vor einer Vernehmung mit seinen Eltern unüberwacht sprechen darf und ihre Anwesenheit verlangen darf. Die Eltern sind von einer bevorstehenden Beschuldigtenvernehmung zu informieren. Die Verletzung dieser Pflicht führt zu einem Verwertungsverbot. Die Hauptverhandlung gegen Jugendliche ist gemäß § 48 JGG nicht öffentlich.
7. Jugendgerichtshilfe (§ 38 JGG)
Bei der Jugendgerichtshilfe handelt es sich gemäß § 38 JGG um eine Abteilung des Jugendamtes. Unter anderem erfüllt sie gemäß § 52 SBG VIII die Aufgaben der Jugendhilfe. Weiterhin ist die Jugendgerichtshilfe Ermittlungshilfe und sammelt in dieser Funktion Erkenntnisse über Lebensgeschichte und Situtuation des Jugendlichen. In einem Bericht gibt sie sodann die Ermittlungsergebnisse bekannt und nimmt aus sozialpädagogischer Sicht Stellung zur Verantwortungsreife, zur Frage der Reifeverzögerung bei Heranwachsenden sowie zur Prognose. Außerdem macht sie auch einen Sanktionsvorschlag. Allerdings besteht keine gesetzlich geregelte Berichts- und Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung. Die Jugendgerichtshilfe unterliegt nicht der Schweigepflicht und hat kein Zeugnisverweigerungsrecht. Deswegen besteht auch eine Pflicht zur Belehrung des Jugendlichen. Allerdings bedarf es einer Aussagegenehmigung gemäß § 54 StPO vom Deinstvorgesetzten. Nach einer Verurteilung unterstützt sie den Jugendlichen bei der Erfüllung von Auflagen und Weisungen. Von der Vollstreckung eines Haftbefehls ist die Jugendgerichtshilfe gemäß § 72a JGG unverzüglich zu unterrichten.
8. Diversion (§§ 45, 47 JGG)
Im Jugendstrafverfahren kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 45 JGG von einer Verfolgung absehen oder das Gericht das Verfahren gemäß § 47 JGG einstellen. Man spricht von Diversion. Gemeint ist damit Vermeidung. Gemäß § 109 Abs. 2 JGG gelten die Diversionsvorschriften auch für Heranwachsende. Die Diversion wird gemäß § 60 Nr. 7 BZRG ins Erziehungsregister eingetragen. Die Einstellungsmöglichkeiten nach den §§ 154, 154a StPO finden im Jugendstrafverfahren ebenfalls Anwendung. § 153a StPO wird verdrängt. § 45 Abs. 1 JGG verweist auf § 153 StPO. Voraussetzung für eine Diversion sind daher insoweit der Verdacht eines Vergehens, geringe Schuld und mangelndes öffentliches Interesse. Erzieherische Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 2 JGG können beispielsweise Sanktionen der Eltern oder Maßnahmen der Jugendhilfe sein. Ein Geständnis wird grundsätzlich nicht vorausgesetzt. Anders kann sich dies beim Täter-Opfer-Ausgleich verhalten. Wenn die Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 und 2 JGG nicht mehr ausreichen und der Täter geständig ist, kann eine Diversion gemäß § 45 Abs. 3 JGG durch richterliche Ermahnung oder die Erfüllung von richterlich angeordneten Auflagen und Weisungen erreicht werden. Nach Erhebung der Anklage kann der Jugendrichter das Verfahren nach § 47 JGG mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 45 JGG einstellen. Eine Diversion kann auch noch im Berfunungs- und Revisionsverfahren ergehen.
9. Vorläufige Anordnung über die Erziehung, einstweilige Unterbringung, Untersuchungshaft (§§ 71, 72 JGG)
Gemäß § 71 Abs. 1 JGG kann der Jugendrichter bis zur Rechtskraft des Urteils vorläufige Anordnungen über die Erziehung des Jugendlichen treffen oder Leistungen der Jugendhilfe gemäß SGB VIII anregen. Gemäß § 71 Abs. 2 JGG kann er außerdem die einstweilige Unterbringung in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe anordnen. Gemäß § 72 Abs. 2 JGG darf bei Jugendlichen unter sechzehn Jahren Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr nur angeordnet werden, wenn der junge Beschuldigte sich entweder dem Verfahren bereits entzogen oder Anstalten zur Flucht getroffen oder keinen festen Wohnsitz hat. Bei Anordnung von Untersuchungshaft ist das Verfahren gemäß § 71 Abs. 5 JGG mit besonderer Beschleunigung durchzuführen.
10. Rechtsmittel (§ 55 JGG)
Gemäß § 55 Abs. 1 JGG kann eine Entscheidung, in der lediglich Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel angeordnet worden sind, nicht wegen des Umfangs der Maßnahmen oder Zuchtmittel angefochten werden. Nach § 55 Abs. 2 JGG kann ein Revisionsverfahren nicht mehr durchgeführt werden, wenn der Jugendliche eine zulässige Berufung eingelegt hat. Hat dagegen nur die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, kann der Jugendliche gegen das Berufungsurteil der Jugendkammer Revision einlegen. Bei Heranwachsenden gilt die Rechtsmittelbeschränkung nur, wenn Jugendstrafrecht zur Anwendung gekommen ist.
11. Bundeszentralregister und Erziehungsregister (BZRG)
Zum Schutz junger Verurteilter wird das Erziehungsregister als Sonderkartei, getrennt vom Strafregister, geführt. Für das Erziehungsregister gelten die §§ 59 bis 64 BZRG. Eingetragen werden gemäß § 60 BZRG weniger schwerwiegende jugendstrafrechtlichen Maßnahmen, insbesondere Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Diversionsentscheidungen. Im Übrigen erfolgt eine Eintragung im Bundeszentralregister. Gemäß § 63 Abs. 1 BZRG werden Eintragungen entfernt, wenn die betroffene Person das 24. Lebensjahr vollendet hat, es sei denn, im Bundeszentralregister ist zwischenzeitlich eine Verurteilung zu freiheitsentziehenden Maßnahme eingetragen worden. Einblick in das Erziehungsregister haben nach § 61 BZRG nur Strafgerichte, Staatsanwaltschaft, Justizvollzugsbehörden, Vormundschafts- und Familiengerichte, Jugendämter sowie Gnadenbehörden. Grundsätzlich müssen Eintragungen im Erziehungsregister nicht offenbart werden. Eintragungen aus dem Erziehungsregister werden nicht in das polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen. Bei den ins Bundeszentralregister aufgenommenen Daten kann es dagegen zur einer Eintragung im Führungszeugnis kommen. Unter den Voraussetzungen der §§ 97 bis 101 JGG kann der Strafmakel aber durch Richterspruch vor Ablauf der Tilgungsfristen beseitigt werden.