Recht auf Pflichtverteidiger
- Der von den Ermittlungsbehörden Verfolgte hat im Strafrecht das Recht die Beiordnung eines Anwalts als Pflichtverteidiger zu beantragen, wenn ein Fall notwendiger Verteidigung gemäß § 140 StPO vorliegt. Es dann besteht ein Anspruch.
- Der Zeitpunkt der Bestellung, die Auswahl des Pflichtverteidigers und die Auswechselung des Pflichtverteidigers sind in den §§ 141, 142, 143a StPO geregelt.
- Anders als bei der Prozesskostenhilfe im Zivilrecht besteht der Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafrecht unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Verdächtigen. Mittellosigkeit an sich führt also nicht zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Allerdings sind fehlende finanzielle Möglichkeiten eine häufige Begleiterscheinung. Denn der liquide Betroffene wird in der Regel einen Wahlverteidiger beauftragen.
- Der Pflichtverteidiger erhält seine Gebühren und Auslagen zwar aus der Staatskasse. Die Kosten des Pflichtverteidigers sind aber Teil der Verfahrenskosten. Und für den Fall einer Verurteilung werden diese Kosten dem Betroffenen durch das Strafgericht auferlegt. Der Pflichtverteidiger ist also nicht kostenlos.
Notwendigkeit?
- Ein Pflichtverteidiger ist gemäß § 140 Abs. 1 StPO unter anderem dann notwendig, wenn eine Hauptverhandlung mindestens vor dem Schöffengericht zu erwarten ist, ein Verbrechen vorgeworfen wird, eine Vorführung zur gerichtlichen Entscheidung über Untersuchungshaft erfolgen soll oder Strafhaft vollstreckt wird.
- Ein Pflichtverteidiger wird aber gemäß § 140 Abs. 2 StPO auch dann bestellt, wenn dies wegen der Schwere der Anklage, wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge, wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass eine Selbstverteidigung nicht möglich ist. Ab einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ist die Verteidigung notwendig. Insoweit sind auch drohende Bewährungswiderrufe zu berücksichtigen.
Antragsrecht?
- In Fällen notwendiger Verteidigung muss der Beschuldigte gemäß § 141 Abs. 1 StPO darüber belehrt werden, dass er einen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger hat. Er hat dann ein eigenes Antragsrecht.
- Über einen solchen Antrag ist im Zusammenhang mit einer Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung vor Durchführung der Vernehmung zu entscheiden. Gleiches gilt für eine Gegenüberstellung. Ausnahmen hiervon sind in § 141a StPO geregelt.
- Ein Antrag auf Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger kann also gemäß § 142 Abs. 1 StPO bereits im Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizei gestellt werden. Die Polizeibeamten müssen dann den zuständigen Staatsanwalt über den Antrag informieren. Dieser wird unverzüglich eine Entscheidung des nach § 142 Abs. 3 StPO zuständigen Gerichts herbeiführen. Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann der Staatsanwalt gemäß § 142 Abs. 4 StPO auch selbst entscheiden.
- Spätestens wenn ein Beschuldigte dem Ermittlungsrichter zur Entscheidung über Untersuchungshaft vorgeführt wird, muss gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 1 StPO von Amts wegen ein Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Sobald bekannt wird, dass sich der Beschuldigte in Strafhaft befindet, muss gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 2 StPO unabhängig von einem Antrag ein Pflichtverteidiger bestellt werden.
- In sonstigen Fällen notwendiger Verteidigung ist ein Pflichtverteidiger ohne Antrag des Beschuldigten gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 4 StPO erst im Zusammenhang mit der Anklageerhebung beizuordnen. Das gilt gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 3 StPO nur dann nicht, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
Nach der Rechtsprechung des BGH (3 StR 16/
- gebietet ein Fall der notwendigen Verteidigung für sich genommen nicht von Amts wegen die sofortige Beiordnung eines Pflichtverteidigers bereits im Ermittlungsverfahren. Erforderlich ist vielmehr ein Antrag des Beschuldigten, nachdem er entsprechend belehrt worden ist.
- ist für die Frage, ob ein Beschuldigter sich ohne Rechtsanwalt gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 3 StPO nicht selbst verteidigen kann, auf dessen individuelle Schutzbedürftigkeit abzustellen. Fehlende Sprachkenntnisse sind insoweit nicht ausreichend, weil gemäß § 187 Abs. 1 S. 2 GVG für das gesamte Strafverfahren die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers beansprucht werden kann. Auch allein die Schwere der Tatvorwürfe oder Schwierigkeiten bei der Beweiswürdigung genügen nicht.
- führt ein etwaiger Verstoß gegen das Gebot zur Beiordnung eines Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger nicht generell zur Unverwertbarkeit einer Beschuldigtenvernehmung. Denn ein Beweisverwertungsverbot ist verfassungsrechtlich nur in besonderen Ausnahmefällen geboten.
Auswahlrecht?
- In Fällen notwendiger Verteidigung wird dem Beschuldigten gemäß § 142 Abs. 5 StPO vom zuständigen Gericht eine Frist gesetzt. Innerhalb der Frist kann er einen selbst ausgewählten Rechtsanwalt benennen. Dieser wird dann als Pflichtverteidiger bestellt.
- Der gewählte Pflichtverteidiger muss zwar nicht ortsansässig sein. Zumindest bei einer Vorführung zum Haftrichter wird ein auswärtiger Rechtsanwalt aber in der Regel nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Daher wird dann zumindest für den Termin beim Ermittlungsrichter ein ortsansässiger Rechtsanwalt beigeordnet.
- Wenn der Beschuldigte innerhalb der Frist keinen Rechtsanwalt benennt oder der gewählte Pflichtverteidiger nicht rechtzeitig zur Verfügung steht, erfolgt die Auswahl nach gerichtlichem Ermessen.
- In der Theorie sollte das Gericht zu diesem Zweck aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer einen Fachanwalt für Strafrecht auswählen. In der Praxis läuft es bedauerlicherweise anders ab. Denn es ist zu beobachten, dass immer wieder die gleichen Rechtsanwälte aus einem eng begrenzten Personenkreis beigeordnet werden.
- Es steht zu vermuten, dass sich ein solcher Pflichtverteidiger in einem komplizierten Spannungsverhältnis zwischen ordnungsgemäßer Vertretung des Mandanten und wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Gericht befindet. Denn ein Gericht wird sicherlich keinen Rechtsanwalt auswählen, den es nach seinem Empfinden als unnötig konfliktfreudig wahrnimmt. Ein sich aus diesem Grund möglicherweise zurückhaltender Rechtsanwalt kann seinen Mandanten aber nicht ordnungsgemäß verteidigen.
- Jeder Beschuldigte sollte also unbedingt von seinem eigenen Wahlrecht Gebrauch machen. Andernfalls riskiert er, dass eventuell andere Kriterien als die fachliche Qualifikation des Rechtsanwalts bei der Auswahl eine Rolle spielen könnten.
Auswechselung?
- Die Beauftragung eines Wahlverteidigers führt gemäß § 143a Abs. 1 StPO nur dann zur Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers, wenn der Wahlverteidiger erklärt, dass dass Mandat wirtschaftlich gesichert ist. Das gilt gemäß § 144 StPO jedoch nicht, wenn zur Verfahrenssicherung zusätzlich eine Pflichtverteidiger erforderlich ist.
- Ein Pflichtverteidiger kann gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO auswechselt werden, wenn das Gericht einen anderen als den vom Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneten Rechtsanwalt beigeordnet hat oder die Frist zur Benennung kurz bemessen war. Voraussetzung ist allerdings, dass der Beschuldigte innerhalb von drei Wochen reagiert.
- Auch der Pflichtverteidiger selbst kann gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 2 StPO die Aufhebung der Beiordnung beantragen. Denn wenn er anlässlich einer Vorführung vor den nächsten Richter gemäß § 115a StPO bestellt worden ist, kann die Entfernung zum künftigen Aufenthaltsort des Beschuldigten unzumutbar sein.
- Ein Pflichtverteidiger kann außerdem gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO ausgewechselt werden, wenn das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist. Die Gründe hierfür sind glaubhaft zu machen. Pauschale Behauptungen sind nicht ausreichend.
- Im Revisionsverfahren kann der Pflichtverteidiger gemäß § 143a Abs. 3 StPO ohne Gründe ausgewechselt werden. Der Antrag muss aber spätestens eine Woche nach Beginn der Revisionsbegründungsfrist gestellt werden.
- Die Bestellung zum Pflichtverteidiger endet gemäß 143 Abs 1. StPO mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens.
Rat vom Pflichtverteidiger
- Grundsätzlich kann der Beschuldigte die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidigers bereits im Ermittlungsverfahren beim ersten Kontakt mit der Polizei beantragen.
- Bei Vorladung, Durchsuchung, Festnahme oder Verhaftung kommt der Beschuldigte allerdings zunächst ohne Pflichtverteidiger in Kontakt mit der Polizei. Ermittlungstaktisch ist dieser Moment für die Polizei von besonderer Bedeutung. Denn der anwaltlich beratene Beschuldigte wird in der Regel keine Angaben machen.
- Es ist somit wichtig, dass der Beschuldigte in diesem Verfahrensstadium keine irreparablen Fehler begeht. Er sollte daher nicht mit der Polizei kommunizieren, sondern sofort den Rat eines zum Pflichtverteidiger bestellten Anwalts einholen. Denn beispielsweise unterliegen spontane Äußerungen keinem Beweisverwertungsverbot.
Vorladung oder Hausdurchsuchung?
- Ein Beschuldigter sollte bei Kontakt mit der Polizei immer von seinem Schweigerecht gemäß § 136 StPO Gebrauch machen. Das gilt auch außerhalb klassischer Vernehmungssituationen, insbesondere in der Stresssituation einer Wohnungsdurchsuchung.
- Ein Beschuldigter hat gemäß § 137 StPO in jeder Lage des Verfahrens das Recht, sich durch einen Strafverteidiger beraten zu lassen. Dieser kann dann prüfen, ob ein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger besteht.
- Ein Beschuldigter ist nicht verpflichtet, einer Vorladung zur Vernehmung Folge zu leisten. Denn der Polizei müssen gemäß § 111 OWiG lediglich die Personalien mitgeteilt werden. Das geht aber auch in Schriftform und erfordert keinen persönlichen Kontakt.
Festnahme oder Verhaftung?
- Bei der vorläufigen Festnahme besteht anders als bei der Verhaftung noch kein Haftbefehl. Sofern der Beschuldigte nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, muss er spätestens am Tag nach seiner Ergreifung dem Haftrichter vorgeführt werden. Dieser entscheidet dann über den Vollzug von Untersuchungshaft.
- Spätestens im Vorführungstermin besteht dann ein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. Der Beschuldigte sollte daher die Zeit bis dahin nutzen, indem er von seinem Konsultationsrecht Gebrauch macht. Andernfalls kann er keinen Rechtsanwalt benennen und der Haftrichter sucht einen Pflichtverteidiger nach eigenem Ermessen aus.