Körperverletzung
- Die einfache Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ist der Grundtatbestand der Körperverletzungsdelikte. Schutzgut ist das körperliche Wohl des Menschen.
- Die Vorschrift kennt zwei Handlungsalternativen, die körperliche Misshandlung und die Schädigung der Gesundheit.
- Eine Körperverletzung liegt aber nur bei pathologischem, somatisch-
objektivierbarem Zustand vor. Die seelische Beeinträchtigung als solche wird also nicht erfasst. - Nachdem sogar die Selbsttötung straflos ist, gilt dies erst Recht für die Selbstverletzung.
- Gemäß § 230 StGB wird eine einfache Körperverletzung nur verfolgt, wenn ein Strafantrag vorliegt oder die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
Körperliche Misshandlung?
- Unter körperlicher Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 Alt. 1 StGB versteht man ein übles, unangemessenes Verhalten, das entweder das Wohlbefinden oder die Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigt.
- Das Wohlbefinden kann nicht nur durch Schmerzzustände, sondern auch durch psychische Beschwerden negativ betroffen sein. Zu den psychischen Beschwerden gehören beispielsweise Schlaflosigkeit und Erbrechen.
- Die körperliche Unversehrtheit ist beeinträchtigt bei Substanzverlust, Einflussnahme auf Körperfunktionen oder körperlicher Verunstaltung. Ein Substanzverlust liegt bereits beim Abschneiden von Haaren vor, eine Einflussnahme auf Körperfunktionen bei Sehstörungen.
- Weder ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung zwangsläufig tatbestandserfüllend, noch eine unbedingte Voraussetzung für die Annahme einer Körperverletzung. Denn körperliche Auswirkungen können auch durch mittelbare Einwirkungen hervorgerufen werden. Erfasst werden kann daher auch das Vorenthalten von Nahrung oder die Bedrohung mit einer Waffe.
- Für die Frage der Erheblichkeit kommt es auf die Dauer und die Intensität der Einwirkung an. Maßgeblich ist grundsätzlich die Perspektive eines objektiven Betrachters. Individuelle Faktoren müssen objektivierbar sein. Ein bloßes Gefühl von Ekel durch Anspucken oder vorübergehender Durchfall aufgrund von Drohungen erfüllen das Tatbestandsmerkmal daher nicht.
- Nach früherer Rechtslage hatten die Eltern eines Kindes ein Züchtigungsrecht. Mit der Einführung von § 1631 Abs. 2 BGB ist dieser Rechtfertigungsgrund entfallen. Bereits an der Tatbestandserfüllung fehlt es aber gleichwohl bei einer leichten taktilen Einwirkung zum Zwecke der symbolischen Missbilligung.
Schädigung Gesundheit?
- Schädigung der Gesundheit gemäß § 223 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands. Die Art der Schädigungshandlung ist gleichgültig. Es spielt auch keine Rolle, ob das Tatopfer möglicherweise vorgeschädigt war.
- Das gleichzeitige Vorliegen einer körperlichen Misshandlung ist nicht notwendig, sodass auch die Verabreichung von Mitteln, die das Bewusstsein trüben, oder die Infektion einer anderen Person mit einer Krankheit eine Gesundheitsschädigung darstellen. Oftmals wird die Misshandlung aber auch gleichzeitig eine Gesundheitsschädigung verwirklichen.
- Nicht tatbestandsmäßig sind bagatellhafte und sozialadäquate Beeinträchtigungen wie etwa die Infektion mit einem Schnupfen.
Infizierung mit HIV?
- Bereits die HIV-
Infizierung und nicht erst der Ausbruch der Krankheit AIDS verwirklicht eine Schädigung der Gesundheit, sobald die Infizierung nachweisbar ist, was in der Regel ungefähr einen Monat nach dem infizierenden Kontakt der Fall ist. - Mittlerweile ist es auch möglich, den konkreten Übertragungsakt mittels phylogenetischer Untersuchungsmethoden zu verifizieren.
- Wenn der Täter das Opfer zwar nicht über die HIV-
Infizierung aufklärt, aber aufgrund der Einnahme von antiretroviraler Medikamente und sonstigen Vorsichtsmaßnahmen auf ein Ausbleiben der Ansteckung gehofft hat, kommt nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung in Betracht. - Wenn der Täter das Opfer nicht aufklärt und trotz des Ansteckungsrisikos mit diesem ungeschützen Sexualverkehr ausübt, macht er sich zumindest wegen versuchter Körperverletzung strafbar, wenn die Infizierung ausbleibt.
- Nach den derzeitigen medizinischen Erkenntnissen über den Verlauf der Krankheit AIDS führt die Infektion – zumeist nach einer mehrjährigen Latenzphase ohne klinische Auffälligkeiten – bei der überwiegenden Zahl der Virusträger über verschiedene Vorstadien letztlich zum Vollbild der Erkrankung. Die Krankheit, die bisher keiner wirksamen Therapie zugänglich ist, hat regelmäßig einen tödlichen Verlauf. Daher liegt auch eine gefährliche Körperverletzung in Gestalt einer das Leben gefährdende Behandlung gemäß § 224 Nr. 5 StGB vor.
- Wenn der Täter das Opfer über die HIV-
Infektion umfassend aufklärt, kann eine straflose eigenverantwortliche Selbstgefährdung gegeben sein.
Einwilligung?
- Bei allen Individualrechtsgütern, ausgenommen das Leben, kann der Inhaber auf den gesetzlichen Schutz verzichten. Man spricht dann von einer rechtfertigenden Einwilligung, welche die Rechtswidrigkeit der Tat entfallen lässt.
- Der Verzicht kann aber nur vor der Tat ausdrücklich oder konkludent erklärt werden, sofern der Rechtsgutsträger einwilligungsfähig ist. Ein erkennbar entgegenstehender Wille ist zu beachten.
- Bei der Einwilligungsfähigkeit kommt es nicht auf die Geschäftsfähigkeit, sondern auf die natürliche Einsichtsfähigkeit an. Für den Ausschluss der Einsichtsfähigkeit muss aber nicht der Grad der Schuldunfähigkeit erreicht werden.
- Ferner können rechtsgutsbezogene Willensmängel zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen. Der hypothetische Wille kann aber einen Willensmangel heilen.
- Der Täter muss in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung handeln.
Ärztlicher Eingriff
- Auch der zu Heilzwecken kunstgerecht vorgenommene ärztliche Eingriff in die physische Integrität stellt auf der Tatbestandsebene eine Körperverletzung dar.
- Entfallen kann jedoch die Rechtswidrigkeit, insbesondere aufgrund einer Einwilligung, sofern der Patient vom Arzt in der gebotenen Art und Weise über den Eingriff, dessen Verlauf, die Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist.
- Wenn eine Entscheidung des Rechtsgutsträgers über den Rechtsgutsverzicht nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, kann sich der Arzt bei einem Handeln im Interesse des Opfers auf dessen mutmaßliche Einwilligung stützen.
- Bei indizierten Operationserweiterungen im Rahmen ärztlicher Eingriffe ist eine Abwägungsentscheidung vorzunehmen.
Verstoß gegen gute Sitten
- Durch die guten Sitten wird der Handlungsspielraum bei Körperverletzungsdelikten gemäß § 228 StGB rechtsgutsbezogen eingeschränkt.
- Bei sexuell motivierten Verletzungen kommt es daher ausschließlich auf die Intensität und Gefährlichkeit des Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht des Opfers an.
- Bei ärztlicher Eingriffen ist Maßstab die Intensität des körperlichen Eingriffs. Ein medizinisches Instrument kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht zum gefährlichen Werkzeug mutieren.
Nach der Rechtsprechung des BGH (1 StR 368/
- ist eine mit Einwilligung des Opfers begangene Körperverletzung dann als sittenwidrig gemäß § 228 StGB zu bewerten, wenn bei objektiver Betrachtung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände die einwilligende Person durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird.
- ist die Körperverletzung durch die erklärte Einwilligung gerechtfertigt, wenn die Tat unter Bedingungen stattfindet, die den Grad der aus ihr hervorgehenden Gefährlichkeit für die körperliche Unversehrtheit oder das Leben des Verletzen begrenzen, sofern das Vereinbarte in ausreichend sicherer Weise für die Verhütung gravierender, sogar mit der Gefahr des Todes einhergehender Körperverletzungen Sorge tragen kann.
- ist auch die Eskalationsgefahr zu berücksichtigen, die sich aus der Unkontrollierbarkeit gruppendynamischer Prozesse ergibt.
Gefährliche Körperverletzung
- Beim Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB handelt es sich um eine Qualifikation.
- In § 224 Abs. 1 StGB werden abschließend fünf besonders gefährliche Begehungsweisen einer Körperverletzung aufgezählt. Es handelt sich um Qualifikationstatbestände.
- Die Tatmodalitäten von Nr. 1 und 2 sind konkrete Gefährdungsdelikte, die Tatmodalitäten von Nr. 3 bis 5 sind abstrakte Gefährdungsdelikte.
- Nach der Rechtsprechung des BGH (3 StR 651/
17) ist der Irrtum des Handelnden über die Person des Angegriffenen auch für den Mittäter unbeachtlich. Das ergibt sich aus dem Grundsatz, dass das Eintreten eines Mittäters in das Versuchsstadium für alle Mittäter den Versuchsbeginn darstellt.
Gift?
- Unter Gift gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB ist jeder anorganische oder organische Stoff zu verstehen, der unter bestimmten Bedingungen durch chemische Wirkung nach seiner Art und der vom Täter eingesetzten Menge die Gesundheit zu beeinträchtigen vermag. Auch an sich unschädliche Stoffe können bei entsprechender Dosierung erhebliche Gesundheitsschäden verursachen.
- Zu den anderen gesundheitsschädlichen Stoffen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB zählen solche, die mechanisch, thermisch oder biologisch wirken.
- Gesundheitsschädlichkeit ist gegeben, wenn das Gift oder der andere Stoff im konkreten Fall geeignet sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Dabei sind an das Merkmal der Erheblichkeit keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, wenn der Eintritt der Folgen zu befürchten gewesen ist.
- Die Tathandlung des Beibringens erfordert keine Verbringung des Stoffs in das Körperinnere.
Gefährlicher Gegenstand?
- Bei der Begehung der Körperverletzung mittels eines gefährlichen Gegenstandes gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB muss der Körperverletzungserfolg unmittelbar durch das von Außen auf den Körper des Tatopfers einwirkende Tatmittel verursacht werden, wobei der Täter den Gegenstand nicht selber führen muss, sondern das Opfer auch gegen das Tatmittel stoßen kann. Es reicht also nicht aus, wenn ein Fahrradfahrer dadurch zu Fall gebracht wird, dass während der Fahrt ein Stock in die Speichen gesteckt wird.
- Waffe gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist jeder Gegenstand, der nach seiner Art dazu bestimmt ist, erhebliche Verletzungen von Menschen zu verursachen. Darunter fallen Schusswaffen, Hieb- und Stichwaffen sowie Gaspistolen.
- Ein gefährliches Werkzeug gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB stellt einen Gegenstand dar, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Hinsichtlich der Folgen gelten die gleichen Anforderungen wie vorstehend.
- Die Verletzung muss aus der konkreten verwendungsabhängigen Gefährlichkeit der Waffe oder des Werkzeugs resultieren.
- Körperteile selbst stellen keine Werkzeuge dar, wohl aber schweres Schuhwerk. Aber auch ein normaler Straßenschuh kann zum gefährlichen Werkzeug werden, wenn mit besonderer Wucht oder in empfindliche Körperteile getreten wird.
- Außerdem muss der vom Täter benutzte Gegenstand durch menschliche Einwirkung beweglich sein. Eine feste Wand ist daher kein gefährlicher Gegenstand.
- Voraussetzung ist weiterhin, dass die Waffe oder das Werkzeug in der konkreten Situation gefährlich eingesetzt werden. Daher können Waffen im technischen Sinn ungefährlich verwendet werden oder umgekehrt harmlose Gebrauchsgegenstände zum gefährlichen Werkzeug zweckentfremdet werden.
- So kann ein zum Würgen benutzter Schal ein gefährliches Werkzeug darstellen. Gleiches gilt für einen Hund, der auf einen Menschen gehetzt wird.
- Die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Gegenstandes kann zwar grundsätzlich auch durch Unterlassen verwirklicht werden, ein Geschehenlassen reicht aber nicht aus.
Überfall?
- Unter Überfall gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB versteht man einen plötzlichen, unerwarteten Angriff auf einen Ahnungslosen.
- Hinterlist ist gegeben, wenn der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechnenden Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Verteidigungsmöglichkeit zumindest zu erschweren.
- Die Verabreichung von K.O.-Tropfen stellt einen Überfall dar.
- Beim plötzlichen Angriff von hinten fehlt es an der Hinterlist, da der Täter dem Opfer nicht mit vorgetäuschter Friedfertigkeit entgegen getreten ist.
Gemeinschaftliches Handeln mit Gehilfen?
- Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Begehungsweise gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist ein bewusstes Zusammenwirken von mindestens zwei Personen notwendig, die am Tatort anwesend sind.
- Ein Handeln in Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB ist aber nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn ein Beteiligter als Gehilfe gemäß § 27 StGB mitwirkt.
- Diese Mitwirkung des Gehilfen macht zwar die Körperverletzung des Haupttäters zur gefährlichen, nicht aber die Beihilfe zur Täterschaft. Eine psychische Beihilfe genügt, sofern der Gehilfe am Tatort anwesend ist.
- Der nicht am Tatort anwesende Anstifter gemäß § 26 StGB begründet für den Täter kein gemeinschaftliches Begehen, da insoweit keine erhöhte Gefährdung des Opfers durch Schaffung einer gegnerischen Übermacht und Reduzierung der Verteidigungsmöglichkeiten bewirkt wird.
- Es ist nicht erforderlich, dass das Opfer die Zahl der Angreifer erkannt hat.
Gefährliche Behandlung?
- Die gefährliche Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB muss das Leben nicht konkret bedrohen.
- Eine nach den Umständen des Einzelfalles generelle Eignung, wie etwa beim Würgegriff oder beim wuchtig geführten Kopfstoß, reicht aus.
- Zu den Umständen des Einzelfalls gehören die Konstitution des Opfers, insbesondere Alter und Vorschädigungen, sowie die Art und Intensität der Behandlung.
- Die Lebensgefährlichkeit kann entweder der Körperverletzungshandlung selbst, aber auch dem Körperverletzungserfolg anhaften.
- Es reicht aus, wenn der Täter die Umstände kennt, aus denen sich die Lebensgefährdung ergibt. Der Gefährdungsvorsatz ist abzugrenzen vom bedingten Tötungsvorsatz beim Totschlag gemäß § 212 StGB.
Fahrlässige Körperverletzung
- Der Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB erfasst die unvorsätzliche und objektiv sowie subjektiv sorgfaltswidrig verwirklichte Körperverletzung, sofern zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Erfolg eine Zurechnungszusammenhang besteht.
- Die Tat wird gemäß § 230 StGB nur auf Antrag oder beim Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses verfolgt. Bei ihrer Ermessensentscheidung orientiert sich die Staatsanwaltschaft insbesondere am Maß der Pflichtwidrigkeit.
- Bei leichteren Körperverletzungen verweist die Staatsanwaltschaft den Strafantragsberechtigten oftmals auf den Privatklageweg.
- Das Delikte der fahrlässigen Körperverletzung ist eine typische Begleiterscheinung bei Unfällen im Zusammenhang mit der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr.
- Insoweit ist das Verletzungsbild der HWS-
Distorsion besonders praxisrelevant. - Sofern die ärztliche Diagnose eines HWS-
Schleudertraumas nur auf den subjektiven und nicht objektivierbaren Angaben des Verletzten beruht, können Sachverständige zur Überprüfung hinzugezogen werden. Der Unfallanalytiker ermittelt die Anstoßbeschleunigung, der Biomechaniker beurteilt deren Auswirkung auf den menschlichen Körper und der Rechtsmediziner ist für die Diagnose zuständig. - Grundsätzlich erscheint eine Wirbelsäulenverletzung bei einer kollisionsbedingten Differenzgeschwindigkeit von weniger als 10 km/
h als unwahrscheinlich. - Bei der Unfallanalytik sind verletzungsfördernde Faktoren wie der Überraschungseffekt oder Vorschädigungen zu berücksichtigen.