Jugendgerichtsgesetz
- Bei Jugendlichen tritt gemäß § 12 JGG das Jugendhilferecht neben das Jugendstrafrecht.
- Bei den Sanktionen im Jugendstrafverfahren steht der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt, nicht der Schuldausgleich. Durch die Anwendung des Jugendstrafrechts soll neuen Straftaten entgegen gewirkt werden. Eine erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen mit Mitteln des Jugendstrafrechts ist aber nur zulässig, soweit dies für ein Leben ohne Straftaten erforderlich ist.
- Die möglichen Sanktionen im Jugendstrafverfahren werden in den §§ 5, 7 JGG abschließend aufgezählt. Hinsichtlich etwaiger Nebenfolgen ist § 6 JGG zu beachten.
- Zu unterscheiden ist gemäß § 5 JGG zwischen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe. Es gelten die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.
- Möglich sind gemäß § 7 JGG auch Maßregeln der Besserung und Sicherung.
- Im Jugendstrafrecht können gemäß § 8 JGG verschiedene Rechtsfolgen miteinander kombiniert werden
- Der zwingende Charakter von Einziehungsanordnungen gemäß den §§ 73, 73c StGB wird nach der Rechtsprechung des BGH (GSSt 2/
20) auch im Jugendstrafrecht beibehalten.
Erziehungsmaßregeln?
- Bei den Erziehungsmaßregeln kommen gemäß § 9 JGG zum einen die Erteilung von Weisungen, zum anderen die Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung in Betracht.
- Weisungen sind gemäß § 10 JGG Gebote, welche die Lebensführung des Jungendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen, wobei an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen.
- Kommt der Jugendliche Weisungen schuldhaft nicht nach, kann er gemäß § 11 Abs. 3 JGG mit Ungehorsamsarrest belegt werden.
- Praxisrelevant sind die Erbringung von Arbeitsleistungen, die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs und die Durchführung eines Täter-
Opfer- Ausgleichs. - Der Katalog der Weisungen ist aber nicht abschließend. So kann der Jugendliche beispielsweise vom Jugendrichter auch angewiesen werden, keine Drogen zu konsumieren und sich Urinkontrollen zu unterziehen. Gemäß § 11 Abs. 2 JGG kann der Jugendrichter die erteilte Weisung nachträglich ändern.
- Hilfe zur Erziehung gemäß § 12 JGG sind die Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII oder eine Einrichtung über Tag und Nacht oder eine sonstige Wohnform im Sinne des § 34 SGB VIII. Das Jugendamt wird vorher angehört.
Zuchtmittel?
- Zuchtmittel sind gemäß § 13 JGG ein eindringlicher tatbezogener Mahn- und Ordnungsruf. Zu unterscheiden ist zwischen der Verwarnung, der Erteilung von Auflagen und dem Jugendarrest.
- Durch die Verwarnung soll gemäß § 14 JGG das Unrecht der Tat eindringlich vorgehalten werden. Sofern alle Verfahrensbeteiligten auf Rechtsmittel verzichten, wird die Verwarnung im Anschluss an Urteilsverkündung ausgesprochen. Andernfalls erfolgt sie in einem gesonderten Verwarnungstermin. Allerdings kann das Erscheinen nicht erzwungen werden.
- Auflagen sind gemäß § 15 JGG die Schadenswiedergutmachung, die Entschuldigung sowie Arbeitsauflagen und Geldauflagen. Dieser Katalog ist abschließend. Die nachträgliche Änderung ist möglich. Die verschuldete Nichterfüllung von Auflagen führt zur Verhängung von Ungehorsamsarrest.
- Der Jugendarrest gemäß § 16 JGG ist das schärfste Zuchtmittel und kann in Form des Freizeitarrestes (ein oder zwei Wochenenden), Kurzarrestes (zwei bis vier Tage) oder Dauerarrestes (eine bis vier Wochen) verhängt werden. Die Vollstreckung des Arrestes soll möglichst zügig nach Rechtskraft des Urteils erfolgen. Ein Jahr nach Rechtskraft wird die Vollstreckung unzulässig. Bei erlittener Unterbringung oder Untersuchungshaft kann der Jugendrichter anordnen, dass der Arrest nicht vollstreckt wird.
Jugendstrafe?
- Jugendstrafe ist gemäß § 17 JGG Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt und kann aufgrund schädlicher Neigungen oder wegen der Schwere der Schuld verhängt werden.
- Jugendstrafe darf nur ausgesprochen werden, wenn mildere Sanktionen nicht ausreichen.
- Die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts gelten nicht, wenn die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) anwendbar sind. Grundsätzlich gilt im Verhältnis zum Erwachsenenstrafrecht das Verbot der Schlechterstellung. Es gibt allerdings gesetzlich geregelte Ausnahmen. In der Gesamtschau ist das Jugendstrafrecht aber regelmäßig milder.
Schädliche Neigungen
- Schädliche Neigungen liegen vor, wenn erhebliche Anlage- oder Erziehungmängel die Gefahr begründen, dass der Jugendliche ohne längere Gesamterziehung die Gemeinschaftsordnung durch weitere Straftaten stören wird. Sie müssen vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt gewesen sein, in der Tat sichtbar werden und auch zum Urteilszeitpunkt noch bestehen.
- Geringfügige Vortaten begründen für sich genommen noch nicht die Annahme schädlicher Neigungen. Geordnete und unbelastete Familienverhältnisse sprechen gegen schädliche Neigungen.
Schwere der Schuld
- Bei der Schwere der Schuld hat der äußere Unrechtsgehalt der Tat keine eigenständige Bedeutung. Es kommt vielmehr darauf an, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben.
- Mithilfe des äußeren Unrechtsgehalts der Tat können aber Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Jugendlichen und das Maß seiner persönlichen Schuld gezogen und damit die Schwere der Schuld bestimmt werden.
- Bei Fahrlässigkeitsdelikten kann die Schwere der Schuld nur ausnahmsweise angenommen werden.
- Auch wenn zum Tatzeitpunkt die Schwere der Schuld gegeben ist, muss die Verhängung von Jugendstrafe zum Urteilszeitpunkt noch erzieherisch erforderlich sein. Allerdings sind im Kapitalstrafrecht neben dem Erziehungsgedanken der Sühnegedanke und das Erfordernis gerechten Schuldausgleichs zu beachten.
Nach der Rechtsprechung des BGH (3 StR 481/
- kommt die Notwendigkeit von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld nicht nur bei Tötungsdelikten oder vergleichbaren besonders schweren Gewalttaten in Betracht.
- sind Vergehen im Sinne des 12 Abs. 2 StGB nicht von vornherein ungeeignet, Schuldschwere zu begründen. Vielmehr kommt eine solche grundsätzlich auch bei einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 StGB in Betracht.
- ist insofern nicht auf die abstrakte rechtliche Einordnung des Straftatbestandes als Vergehen, sondern einzelfallbezogen auf das konkrete Tatbild, insbesondere die Art und Weise der Einwirkung auf das Tatopfer, die Gefährlichkeit der Tathandlung und die Schwere der erlittenen Verletzungen abzustellen.
Strafhöhe
- Gemäß § 18 JGG beträgt die Jugendstrafe bei Jugendlichen mindestens 6 Monate und höchstens 5 Jahre. Bei nach Erwachsenenrecht im Höchstmaß mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechen kann bis zu 10 Jahre Jugendstrafe ausgesprochen werden.
- Bei Heranwachsenden, auf die Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, beträgt gemäß § 105 Abs. 3 JGG das Höchstmaß im Regelfall 10 Jahre, bei Mord 15 Jahre.
- Die maßgeblichen Kriterien für die Bemessung der Strafhöhe sind Haltung und Persönlichkeitsbild sowohl zum Tatzeitpunkt als auch zum Urteilszeitpunkt.
- Generalpräventive Erwägungen sind wegen der erzieherischen Zielsetzung des Jugendstrafrechts unzulässig.
- Die im Strafgesetzbuch genannten Strafobergrenzen dürfen weder abstrakt noch konkret überschritten werden.
- Gemäß § 52a JGG wird erlittene Untersuchungshaft grundsätzlich auf die zu verbüßende Jugendstrafe angerechnet.
- Eine Jugendstrafe, die 1 Jahr nicht übersteigt kann gemäß § 21 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei einer höheren Jugendstrafe, die 2 Jahre nicht übersteigt, ist zusätzlich § 21 Abs. 2 JGG zu beachten.
Nach der Rechtsprechung des BGH (2 StR 174/
- müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, inwieweit dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folge der Strafe für die weitere Entwicklung des Jugendlichen oder Heranwachsenden abgewogen worden ist.
- liegt ein Rechtsfehler vor, wenn die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich mit solchen Zumessungserwägungen vorgenommen wird, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Eine abschließende, lediglich formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt den gesetzlichen Erfordernissen nicht.
- müssen bei der Bemessung der Jugendstrafe in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene verwertbare Verurteilungen grundsätzlich mit gleichwertigen tatsächlichen und verfahrensrechtlichen sowie materiell-
rechtlichen Wirkungen versehen werden, wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt.
Nach der Rechtsprechung des BGH (3 StR 415/
- sind auch im Jugendstrafrecht die Kriterien zu berücksichtigen, die nach allgemeinem Strafrecht Strafrahmenverschiebungen begründen können. Dazu gehören insbesondere vertypte Strafmilderungsgründe. Es muss aber keine vergleichende Beurteilung der Tat nach Erwachsenenstrafrecht vorgenommen werden.
- bezieht sich das Gebot, auch im Jugendstrafrecht minder schwere Fälle zu bedenken, nicht auf tateinheitlich verwirklichte untergeordnete Delikte, weil aus diesen auch im Erwachsenenstrafrecht nicht der Strafrahmen zu entnehmen wäre.
Nach der Rechtsprechung des BGH (4 StR 214/
- ist bei Verzögerungen im Jugendstrafverfahren eine Kompensation bei Verstößen gegen den Beschleunigungsgrundsatz in der Weise zu gewähren, einen bestimmten Teil einer verhängten Jugendstrafe für bereits vollstreckt zu erklären, wenn ein solcher über die Feststellung der Verzögerung hinausgehender Ausgleich geboten ist.
- ist die Kompensation aber nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen.
Einheitsstrafe?
- Auch wenn der Jugendliche mehrere Straftaten begangen hat, setzt der Richter im Jugendstrafrecht dem Erziehungsgedanken folgend gemäß § 31 JGG nur eine bestimmte Rechtsfolge oder ein einheitlich aufeinander abgestimmtes Bündel von Maßnahmen fest, damit sich die Rechtsfolgen nicht wechselseitig blockieren können. Man spricht dann von Einheitsstrafe. Die in das neue Urteil einzubeziehenden Verurteilungen dürfen noch nicht vollstreckt oder anderweitig erledigt sein.
- Die Strafobergrenzen gemäß § 18 JGG und die zulässigen Verbindungsmöglichkeiten von Rechtsfolgen gemäß § 8 JGG sind zu beachten. Die Rechtsfolge nach Einbeziehung darf für den Verurteilten günstiger ausfallen. Eine Begünstigung kann aber auch verhindert werden, indem eine Einbeziehung ausnahmsweise aus erzieherischen Gesichtspunkten unterbleibt. Die Strafobergrenzen finden dann keine Anwendung.
- Umgekehrt kann aber auch eine Verböserung (Vollzugsstrafe, Jugendstrafe statt Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln) verhindert werden.
- Eine Einbeziehung kann gemäß § 66 JGG auch nachträglich durch Beschluss oder in mündlicher Hauptverhandlung erfolgen.
- Eine Einheitsstrafe darf zur Begründung einer späteren Sicherungsverwahrung des dann erwachsenen Täters herangezogen werden.
Tatwurzeln?
- Bei mehreren gleichzeitg abzuurteilenden Straftaten, die in verschiedenen Alters- und Reifestufen begangen worden sind, sodass teilweise Jugendstrafrecht, teilweise Erwachsenenstrafrecht anwendbar ist, muss der Richter gemäß § 32 JGG nach pflichtgemäßen Ermessen abwägen, ob die Tatwurzeln und damit das Schwergewicht der Tat im Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht liegen.
- Bei der Ermittlung des Schwergewichts kommt es auf das Ergebnis einer Persönlichkeitsbeurteilung und die Bewertung der Tatursachen an. Unaufklärbarkeit für zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht.
- Ausnahmsweise kann bei Heranwachsenden gemäß § 105 Abs. 2 JGG eine Einheitsstrafe mit einer rechtskräftigen, aber noch nicht erledigten Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht gebildet werden. Im umgekehrten Fall kann eine Gesamtstrafe gebildet werden.
Entziehungsanstalt oder Psychiatrie?
- Zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung gehören Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder Psychiatrie, Führungsaufsicht und Entziehung der Fahrerlaubnis. Sicherungsverwahrung kann vorbehalten oder nachträglich angeordnet werden. Für Heranwachsende gelten gemäß § 106 JGG weitere Sonderregeln.
- Neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder Psychiatrie wird gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung von Zuchtmitteln oder Jugendstrafe abgesehen werden, wenn die Maßregelanordnung eine Ahndung entbehrlich macht.
- Grundsätzlich ist die Maßregel vorweg zu vollziehen, es sei denn, dass eine daneben verhängte Jugendstrafe 3 Jahre übersteigt. Für die Vollstreckung der Maßregel gelten nach § 2 JGG die §§ 67 ff. StGB. Der Maßregelvollzug richtet sich nach landesrechtlichen Vorschriften (BayStVollzugG, BayUnterbrG, BayMRVG).