Verstoß gegen § 222 StGB
- Bei der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB handelt es sich um ein Erfolgsdelikt.
- Der Tatbestand ist demnach erfüllt, wenn die Tötung eines anderen Menschen auf einer objektiv vorhersehbaren und vermeidbaren Sorgfaltspflichtverletzung des Täters beruht.
- Grundsätzlich kann eine Tötung nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen begangen werden.
- Der Straftatbestand ist vor allem im Zusammenhang mit der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr praxisrelevant.
Pflichtwidrigkeit?
- Unter Pflichtwidrigkeit versteht man die Außerachtlassung der objektiv gebotenen Sorgfalt.
- Die durch einen Kraftfahrzeugführer zu beachtenden Sorgfaltspflichten ergeben sich aus den Straßenverkehrsgesetzen. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften indiziert die Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens.
- Im Straßenverkehr gilt grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz, d. h. jeder sich verkehrsgerecht verhaltende Verkehrsteilnehmer darf darauf vertrauen, dass sich auch die anderen Personen verkehrsgerecht verhalten. Der Vertrauensgrundsatz findet jedoch keine Anwendung bei eigenem Fehlverhalten, erkennbar verkehrswidrigen Verhalten Dritter, im Zusammenhang mit Kindern und bei gefahrgeneigten Verkehrssituationen.
Vorhersehbarkeit?
- Eine Tötung erfüllt nur dann den Fahrlässigkeitstatbestand, wenn der eingetretene Erfolg nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegt, dass man vernünftigerweise nicht damit zu rechnen braucht.
- Denn für diesen Fall fehlt es an der objektiven Vorhersehbarkeit.
- Eine Einschränkung der Fahrsicherheit durch Krankheit ist vorhersehbar.
- Allerdings ist der Fahrlässigkeitsvorwurf weder aufgrund der bei jedem Kraftfahrer vorhandenen allgemeinen Gefahr, während der Fahrt einen Schwächeanfall oder eine Bewusstseinstrübung zu erleiden, noch wegen jeder geringfügigen gesundheitszustands- oder altersbedingten Steigerung dieses Risikos gerechtfertigt.
Zurechnung?
- Zurechnung setzt voraus, dass durch menschliches Verhalten eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen worden ist, die sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat. Insoweit sind bei Fahrlässigkeitsdelikten Besonderheiten zu beachten.
Rechtmäßiges Alternativverhalten
- Für eine Strafbarkeit ist erforderlich, dass sich die Tötung nicht auch bei einem rechtmäßigem Alternativverhalten realisiert hätte. Es genügt insoweit, wenn die nur nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass der Erfolg auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Täters eingetreten wäre.
- Wenn ein Kraftfahrzeugführer einen alkoholisierten Radfahrer unter Nichteinhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes tödlich verletzt, es aber zumindest nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich dieser Erfolg aufgrund der alkoholbedingten Fahrunsicherheiten des Radfahrers auch bei verkehrsgerechtem Verhalten des Fahrzeugführers verwirklicht hätte, fehlt es am notwendigen Pflichtwidrigkeitszusammenhang.
- Ein alkoholisierter Fahrzeugführer muss dagegen seine Fahrweise an die verminderte Reaktionsgeschwindigkeit anpassen und entsprechend langsamer fahren.
- Der Täter kann sich in der Regel aber nicht auf ein hypothetisches schadensstiftendes Verhalten eines Dritten berufen. Dem Auffahrenden bei einer Massenkarambolage ist also das Argument verwehrt, dass selbst bei rechtzeitiger Abbremsung seines Fahrzeuges der nachfolgende Fahrzeugführer gleichwohl mit so hoher Geschwindigkeit aufgefahren wäre, dass er das vor ihm stehende Fahrzeug in den davor stehenden Wagen geschoben hätte.
- Bei der Prüfung der Vermeidbarkeit eines Verkehrsunfalles werden oftmals Unfallanalytiker zum Zwecke der Rekonstruktion hinzugezogen.
Eigenverantwortlichkeit
- Einschränkungen der objektiven Zurechnung können sich jedoch aus dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit ergeben.
- Insoweit ist dann die eigenverantwortliche und den Pflichtwidrigkeitszusammenhang ausschließende Selbstgefährdung von der tatbestandsmäßigen Fremdgefährdung abzugrenzen. Hier kommt es entscheidend auf die Frage der Tatherrschaft an. Liegt diese nicht allein beim Gefährdeten, ist keine Selbstgefährdung gegeben.
- Bei einer vorliegenden Fremdgefährdung ist unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus § 228 StGB die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung zu prüfen. Eine Einwilligung in eine objektiv sorgfaltswidrige und gefährliche Handlung wirkt solange rechtfertigend, wie noch kein naheliegendes oder konkretes Todesrisiko besteht, selbst wenn sich dieses Risiko später realisiert.
- Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit ist praxisrelevant bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen oder bei Kenntnis des Beifahrers von Defiziten beim Fahrer.
Schutzbereich
- Weiterhin ist erforderlich, dass der eingetretene Erfolg im Schutzbereich der verletzten Sorgfaltsnorm liegt.
- Eine Begrenzung der zulässigen Geschwindigkeit wegen neuen Fahrbahnbelags bezweckt nicht, einmündenden Fahrzeugen das Einfahren zu erleichtern, sondern dient dazu, der erhöhten Rutschgefahr entgegenzuwirken.
Fahrlässigkeitsschuld?
- Bei Fahrlässigkeitsdelikten ist es erforderlich, dass der Sorgfaltsverstoß individuell vorwerfbar und der Erfolg individuell vorhersehbar ist.
- Insoweit sind die Intelligenz, Bildung, Geschicklichkeit und Lebenserfahrung des Täters unter Berücksichtigung des konkreten Lebenssachverhaltes (Affekt, Stress, Angst, etc.) zu würdigen.
- In der Regel wird die Fahrlässigkeitsschuld durch die Erfüllung des Tatbestandes indiziert, es sei denn, es sind besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten gefragt.
- Bei der bewussten Fahrlässigkeit reflektiert der Täter über die Gefährlichkeit seines Verhaltens und vertraut pflichtwidrig darauf, dass der Erfolgseintritt ausbleibt.
- Leichtfertig handelt, wer die gebotene Sorgfalt in einem besonders hohen Maß verletzt.
- Der Schuldvorwurf kann jedoch entfallen, wenn dem Täter ein normgemäßes Verhalten nicht zumutbar ist.
Bewährung?
- Wenn der Täter unter dem Einfluss von Alkohol oder Rauschmitteln im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt hat, prüfen die Gerichte, ob einer Strafaussetzung zur Bewährung die Verteidigung der Rechtsordnung entgegensteht.
- Insoweit ist im Rahmen der Abwägung unter anderem der Grad der Alkoholisierung, ein Mitverschulden des Opfers, das Verhältnis zum Opfer, das Fehlverhalten Dritter, Folgen des Verkehrsunfalles für den Täter, die Intensität des Verkehrsverstoßes und das Nachtatverhalten zu bewerten.
Geisterfahrer?
- Bei Geisterfahrern kann das Gericht prüfen, ob der Straftatbestand des versuchten Totschlags gemäß § 212 StGB erfüllt ist, wenn es trotz Gegenverkehr nicht zu Kollision gekommen ist.
- Beim bedingten Tötungsvorsatz ist weiterhin zu beachten, dass ein Kraftfahrzeug auch als gemeingefährliches Mittel angesehen werden kann.
- Denn ein Tötungsmittel, das zwar seiner Natur nach nicht gemeingefährlich ist, kann einen Mord gemäß § 211 StGB gleichwohl begründen, wenn in der konkreten Tatsituation die Gefährdung einer Mehrzahl von Menschen möglich ist und der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat.