Verstoß gegen § 177 Abs. 1 und 2 StGB
- Die Vorschrift des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 StGB schützt die sexuelle Selbstbestimmung, also die persönliche Freiheit über Zeitpunkt, Art und Partner sexueller Betätigung nach eigenem Belieben zu entscheiden. Dies beinhaltet notwendigerweise auch die Freiheit, sich gänzlich gegen eine konkrete sexuelle Interaktion zu entscheiden.
- Erfasst werden auch gleichgeschlechtliche Täter-Opfer-Beziehungen.
- Auch der Versuch der Vergehenstatbestände ist gemäß § 177 Abs. 3 StGB strafbar.
Was ist sexuelle Handlung?
- Taterfolg ist eine sexuelle Handlung gemäß § 184h Nr. 1 StGB, die das Opfer durch den Täter oder einen Dritten an sich selbst dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vornehmen muss.
- Voraussetzung für das Vorliegen einer sexuellen Handlung ist die Sexualbezogenheit und Erheblichkeit des Verhaltens.
Sexualbezogenheit
- Die Sexualbezogenheit der Handlung muss aus dem äußeren Erscheinungsbild nach allgemeinen Verständnis erkennbar sein.
- Ein subjektives Element ist bei eindeutig sexualbezogenen Verhaltensweisen nicht erforderlich. Daher können auch Kinder bereits in den ersten Lebensjahren sexuelle Handlungen vornehmen, obwohl ihnen ein entsprechendes Bewusstsein fehlt. Weiterhin kann eine sexuelle Handlung somit auch bei Wut oder sadistisch-
aggressiven Tendenzen vorliegen. - Äußerlich neutrale Handlungen werden dagegen nicht allein durch eine etwaige sexuelle Motivation des Täters zur sexuellen Handlung.
- Anders verhält sich dies bei mehrdeutigen Handlungen. Hier bedarf es der Absicht des Täters, eigene oder fremde Geschlechtslust zu erregen oder zu befriedigen.
Erheblichkeit
- Durch das Kriterium der Erheblichkeit der sexuellen Handlung sollen Verhaltensweisen ausgeschieden werden, die nach Art, Intensität, Dauer, Handlungsrahmen und Beziehung der Beteiligten unterhalb einer sozial nicht erträglichen Rechtsgefährdung liegen und nur als Taktlosigkeit oder Zudringlichkeit zu werten sind. Allerdings können derartige Handlungen unter den Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 184i StGB fallen.
- Die Erheblichkeit kann je nachdem, ob das Tatopfer minderjährig oder erwachsen ist, unterschiedlich zu bewerten sein.
- Ein flüchtiger Griff an die Genitalien über der Kleidung genügt nicht. Bei einem Kuss bedarf es der Berücksichtigung aller Begleitumstände. Bei Küssen minderer Qualität, insbesondere solchen auf den geschlossenen Mund, ist die Grenze zur Erheblichkeit nicht überschritten. Das gilt erst Recht für einen misslungenen Kussversuch. Bereits das Entkleiden des Opfers stellt allerdings eine ausreichende sexuelle Handlung dar.
- Sexuelle Handlungen an einer anderen Person setzen zwar Körperkontakt voraus. Es reicht aber aus, wenn das Opfer durch die Kleidung betroffen ist oder der Körperkontakt durch einen Gegenstand vermittelt wird. Der Körperkontakt muss bei der sexuellen Handlung selbst erfolgen. Es genügt nicht, wenn er sich nur anlässlich einer qualifizierenden Nötigungshandlung ereignet.
- Das Tatopfer muss weder die Handlung noch den Sexualbezug wahrnehmen. Anders verhält sich dies gemäß § 184h Nr. 2 StGB bei der sexuellen Handlung vor einer anderen Person. Der Sexualbezug muss jedoch auch hier nicht wahrgenommen werden. Eine räumliche Nähe ist ebenso nicht erforderlich.
Welches Verhalten ist strafbar?
- Die Vorschrift des § 177 Abs. 1 StGB beinhaltet fünf Tatvarianten. Der Täter nimmt eine Handlung am Körper des Opfers vor oder lässt vom Opfer eine Handlung an sich oder durch das Opfer an sich selbst oder mit dem eigenen Körper vornehmen.
- Bei der Veranlassung zur Vornahme am Täter ist eine über die passive Duldung hinausgehende Bestärkung des Opfers erforderlich. Bei der Veranlassung des Opfers zu Handlungen an sich selbst oder mit dem eigenen Körper sind auch Verhaltensweisen erfasst, die vom Opfer ohne Anwesenheit des Täters oder Wahrnehmung Dritter ausgeführt werden. Insoweit wird also auch Posing erfasst, sofern dem sexuelle Handlungsqualität zukommt. Bei dieser Tatvariante bedarf es keines Körperkontaktes. Es handelt sich um ein Hands-off-Delikt.
- Nur die Tathandlung der Vornahme hat in der Praxis einen tatsächlichen Anwendungsbereich.
- Die Tathandlungen der Vornahme auf Veranlassung des Täters und des Bestimmens setzen eine mentale und kommunikative Einwirkung voraus. Ein bloßes Überreden ist damit jedoch nicht gemeint. Ein Handeln des Opfers gegen seinen Willen ist aber nur denkbar, wenn sich das Opfer vom Täter genötigt sieht oder genötigt wird, und fallen daher unter § 177 Abs. 2 Nr. 4 und 5 StGB.
- Anders als in § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB muss sich der Täter nicht der vorherigen Zustimmung des Opfers versichern. Das führt oftmals zu Beweisproblemen auf der subjektiven Ebene. Denn kennt der Täter den entgegenstehenden Willen nicht, liegt ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB vor. Eine derartige Einlassung des Täters ist jedoch immer von der bloßen Schutzbehauptung abzugrenzen. Wenn eine Fehlbeurteilung des Täters hinsichtlich des Opferwillens auf einer offenkundig abwegigen Selbstüberschätzung beruht, kann sich daraus aber kein Vorsatzausschluss ergeben.
- Beim sexuellen Übergriff gemäß § 177 Abs. 1 und 2 StGB ist mit Ausnahme von § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB eine Nötigungshandlung nicht mehr erforderlich. Dadurch sollen Strafbarkeitslücken geschlossen werden.
Ist Stealthing strafbar?
- Reine Täuschungen sind im Sexualstrafrecht grundsätzlich nicht strafbewehrt. Beim Stealthing handelt es sich jedoch um einen strafbewehrten Sonderfall.
- Unter Stealthing versteht man das heimliche Abziehen des Kondoms während des Geschlechtsverkehrs. Wenn sich Sexualpartner darauf verständigt haben, dass nur geschützter Geschlechtsverkehr stattfinden soll, dann stellt der Geschlechtsverkehr ohne Kondom eine erhebliche Abweichung von der konsentierten sexuellen Handlung dar. Durch dieses Verhalten kommt es zur Verwirklichung eines Sexualdeliktes.
Nach der Rechtsprechung des KG Berlin (161 Ss 48/
- erfüllt Stealthing den Straftatbestand des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1 StGB, wenn der Täter das Opfer nicht nur gegen dessen Willen in ungeschützter Form penetriert, sondern im weiteren Verlauf dieses ungeschützten Geschlechtsverkehrs darüber hinaus in den Körper des Opfers ejakuliert.
Nach der Rechtsprechung des OLG Schleswig (2 OLG 4 Ss 13/
- ist es für die Frage der Strafbarkeit sogar unerheblich, ob der Täter in den Körper des Opfers ejakuliert.
Nach der Rechtsprechung des BayObLG (206 StRR 87/
- können im Einzelfall sogar die Voraussetzungen einer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB verwirklicht sein.
- stellt bereits der Versuch, heimlich ohne Kondom den Geschlechtsverkehr durchzuführen, einen vollendeten sexuellen Übergriff gemäß § 177 Abs. 1 StGB dar.
- ist beim versuchten Stealthing zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 177 Abs. 9 StGB vorliegen und gemäß § 47 Abs. 2 StGB statt einer kurzen Freiheitsstrafe ein Geldstrafe zu verhängen ist.
Wann ist Widerwille erkennbar?
- Durch den Straftatbestand des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1 StGB sollen Verhaltensweisen pönalisiert werden, mit denen sich der Täter über den erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt. Es bedarf also einer hinreichend bestimmten Vorstellung, welche Handlungen konsentiert sind. Durch das Einverständnis des Opfers wird der Tatbestand ausgeschlossen.
- In der rechtspolitischen Diskussion wird der Grundgedanke dieser Vorschrift mit dem Schlagwort “Nein heißt Nein” umschrieben. Die Strafbarkeit wird demnach von einer ablehnenden Erklärung des Opfers abhängig gemacht.
- Es genügt der natürliche Wille. Die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu bestimmen. Insoweit ist hypothetisch zu unterstellen, dass dem Dritten die Fakten der gesamten Situation bekannt sind. Auf subjektiver Ebene muss allerdings auch der Täter den zum Zeitpunkt der sexuellen Handlung bestehenden Widerwillen des Tatopfers kennen. Gleiches gilt für die objektive Erkennbarkeit.
- Danach wird von einer Erkennbarkeit ausgegangen, wenn das Opfer den entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt. Ein bloß innerer Vorbehalt genügt nicht.
- Ambivalentes oder neutrales Verhalten geht zulasten des Opfers.
- Maßgeblich ist nicht allein der formale Wortlaut eines geäußerten Willens. Einzubeziehen sind auch Vereinbarungen, aus denen sich ergeben kann, dass Äußerungen oder Zeichen von Widerwillen nicht ernst gemeint sind. Ohne Kommunikation kann ein entgegenstehender Opferwille nicht anhand der äußeren Umstände begründet werden, da insoweit § 177 Abs. 2 StGB einschlägig ist.
Was gilt ohne Erkennbarkeit?
- Ein sexueller Übergriff kann gemäß § 177 Abs. 2 StGB auch ohne erkennbar entgegenstehendem Willen des Opfers strafbar sein. Gemeint sind Fälle, in denen dem Opfer das Erklären eines entgegenstehenden Willens objektiv nicht möglich oder zumutbar ist.
- Die Vorschrift sanktioniert eines Missbrauch. Das sind Verhaltensweisen, durch die der Täter eine bestimmte Lage ausnutzt.
- In § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB soll das Prinzip “Ja heißt Ja” umgesetzt werden. Strafbar ist demnach jede sexuelle Betätigung, es sei denn, es liegt eine ausdrückliche vorherige Zustimmung vor.
- Trotz des gesetzlichen Überschrift wird eine Nötigung nur in § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB vorausgesetzt.
Fehlende Fähigkeit
- Die Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB schützt Personen, die nicht in der Lage sind, einen entgegenstehenden Willen zu äußern oder zu bilden. Voraussetzung ist, dass das Opfer zur Bildung oder Äußerung eines Willens absolut unfähig ist. Wenn das Tatopfer zur Willensäußerung nicht in der Lage ist, ist anders als bei der Unfähigkeit zur Willensbildung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ein entgegenstehender Wille Voraussetzung für eine Strafbarkeit. Andernfalls wären körperlich behinderte Personen, die äußerungsunfähig sind, gleichheitswidrig benachteiligt.
- Erfasst werden nur vorübergehende, nicht krankhafte Zustände. Insoweit ist die Vorschrift des § 177 Abs. 4 StGB einschlägig.
- Ursache für die Unfähigkeit kann insoweit also nur eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung sein. Gemeint sind die Zustände der Bewusstlosigkeit, der Ohnmacht, des Schlafes und des schweren Alkohol‑, Drogen‑, oder Medikamentenrausches. Der Defekt kann durch das Opfers selbst oder durch Dritte herbeigeführt werden. Sofern der Täter K.O.-Tropfen einsetzt, ist der Straftatbestand der sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB einschlägig.
- Ein Ausnutzen liegt vor, wenn dem Täter der Sexualkontakt durch die Schwächesitaution des Opfers erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht wird und der Täter die dadurch gegebene Gelegenheit für seine Zwecke nutzt. Ein Ausnutzen ist nicht gegeben, wenn die sexuelle Handlung gegenüber der betroffenen Person mit deren vor Eintritt in den Schwächeszustand erklärten defektfreiem Einverständnis erfolgt.
Eingeschränkte Fähigkeit
- Der Tatbestand des § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB schützt Personen, die aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt sind.
- Ambivalentes Verhalten des Opfers kann nicht als Zustimmung gewertet werden. Die Zustimmung kann verbal oder konkludent erklärt und jederzeit zurückgenommen werden. Fraglich ist, wie eine Person, die in der Willensbildung oder Willensäußerung erheblich eingeschränkt ist, in der Lage sein kann, eine Zustimmung zu erteilen, auf die Täter auch vertrauen darf.
- In der Praxis wird für diese Tatbestandsalternative wohl besonders die Trunkenheit ein häufiger Anwendungsfall sein.
- Hinsichtlich des Maßstabs, wann eine Einschränkung der Willens- oder Äußerungsfähigkeit gegeben ist, kann auf die Wertungen zur Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB zurückgegriffen werden. Zu Aufklärung, ob eine solche Einschränkung die Schwelle zur Erheblichkeit erreicht, sollte ein Sachverständiger beauftragt werden.
- Die Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 177 Abs. 9 StGB setzt voraus, dass die Tat in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt wesentlich vom Regeltatbild nach unten abweicht. Gründe hierfür können ein ambivalentes Opferverhalten in der konkreten Tatsituation sein.
Überraschungsmoment
- Nach § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB macht sich der Täter strafbar, wenn er für die Tatbegehung einen Überraschungsmoment ausnutzt. Denkbarer Fall für einen derartigen sexuellen Übergriff wäre beispielsweise das Grabschen in Duschräumen von öffentlichen Schwimmbädern.
- Eine Überraschung ist gegeben, wenn das Opfer mit der Handlung nicht gerechnet hat und deswegen nicht reagieren konnte. Die Bildung eines entgegenstehenden Willens ist in einer solchen Situation nicht möglich. Tathandlung kann nur das Vornehmen einer sexuellen Handlung, da das Opfer andernfalls nicht überrascht sein kann.
- Ein Ausnutzen setzt voraus, dass das Opfer nicht überrascht werden möchte. Gleichzeitig muss der Täter davon ausgehen, dass die sexuelle Handlung nicht erwünscht ist.
Nötigunslage
- Nach 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB macht sich der Täter strafbar, wenn er eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht. Empfindlich ist das Übel, wenn sein Eintreten geeignet ist, einen besonnenen Menschen zum Sexualkontakt zu bestimmen. Bagatellartige Auswirkungen stellen somit kein empfindliches Übel dar. Auch die Befürchtung der Beendigung einer partnerschaftlichen Beziehung genügt nicht. Ausreichend wäre aber der Entzug von notwendiger Hilfe.
- Wenn der Täter bereits in vergleichbaren früheren Situationen Gewalt gegenüber dem Opfer selbst, Dritten oder Sachen angewendet hat, muss das Opfer befürchten, dass es bei Widerstand gegen die sexuellen Handlungen erneut genötigt wird. Insbesondere diese Fälle, in denen das Opfer einem Klima von Gewalt ausgesetzt ist, sollen von der Vorschrift erfasst werden. Wenn sich das Opfer in einer schutzlosen Lage befindet, liegt bei Furcht vor Gewalt eine sexuelle Nötigung gemäß § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB vor.
- Widerstand kann durch verbale Äußerungen oder physische Gegenwehr geleistet werden.
- Die Nötigungslage muss auf den Täter oder einen Dritten zurückzuführen sein. Es kommt jedoch nicht darauf an, dass diese das Übel tatsächlich verwirklichen wollen. Weiterhin können auch Naturgewalten ein Übel darstellen.
Drohung
- In Fällen von Zwangsprostitution wird über § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB auch eine Pönalisierung des Freiers ermöglicht.
- Nach 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB macht sich ein Täter außerdem strafbar, wenn er das Opfer durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung genötigt hat. In Drohung liegt der Unterschied zu § 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB.
- Die Drohung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Es reicht aus, wenn der Täter aus Sicht des Opfers Einfluss auf den Eintritt des Übels hat. Das Übel kann sich auch gegen Dritte richten. Tatbestandlich kann daher auch die Suizidandrohung des Täters selbst sein.
- Erfasst werden Konstellationen, in denen die Intensität der Nötigung unterhalb der Drohung in § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB liegt.
- Die Nötigung durch Drohung muss kausal für die Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung sein. Mit der Intensität des Nötigungsmittels kann die Erheblichkeit einer sexuellen Handlung aber nicht begründet werden.
- Weiterhin muss auch ein Finalzusammenhang zwischen Nötigung und Sexualkontakt bestehen. Nur dieser Tatbestand enthält echtes Nötigungsunrecht.
Was ist bei Krankheit oder Behinderung?
- Die fehlende Willens- und Äußerungsfähigkeit im Sinne von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB beruht beim sexuellen Übergriff gemäß § 177 Abs. 4 StGB auf einer psychischen oder körperlichen Krankheit oder Behinderung.
- Diese Qualifikation macht die Tat aufgrund des erhöhten Strafrahmens zum Verbrechen. In minder schweren Fällen eröffnet sich über § 177 Abs. 9 StGB ein Sonderstrafrahmen.
Krankheit
- Der Begriff der Krankheit umfasst neben chronischen auch vorübergehende nicht ganz unerhebliche geistige oder seelische Beeinträchtigungen. Beim Vorliegen von irreversiblen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ist aber keine Krankheit, sondern eine Behinderung gegeben.
Behinderung
- Gemäß § 2 Abs. 1 SGB X liegt bei einer Person eine Behinderung vor, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt.
- Auch Suchterkrankungen sind bereits bei psychischer Abhängigkeit ausdrücklich in den Schutzbereich einbezogen.
- Bei Vorliegen einer psychischen Krankheit oder Behinderung kann eine Zustimmung der betroffenen Person in die sexuelle Handlung unwirksam sein. Eine Unwirksamkeit ist anzunehmen, wenn das tatsächlich vorliegende Einverständnis nach normalpsychologischen Gesichtspunkten gänzlich fern liegend erscheint und die Abweichung auf der geistigen oder seelischen Störung beruht. Auf die bloße Nachvollziehbarkeit kommt es aber nicht an, da es auch dem Gesunden freisteht, sich aus sexueller Motivation in entwürdigende Situationen zu begeben.