Verstoß gegen § 177 Abs. 6 StGB
- In § 177 Abs. 6 StGB sind die besonders scheren Fälle des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1, 2, 4 StGB und der sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 5 StGB geregelt. Bei der Vergewaltigung handelt es sich um ein auf die Grundtatbestände bezogenes Regelbeispiel, das den Mindesstrafrahmen auf zwei Jahre Freiheitsstrafe erhöht.
- Denkbar sind also auch unbenannte besonders schwere Fälle oder eine Entkräftung der gesetzgebischen Vorwertung durch gewichtige strafmilderne Umstände. Auch die zusätzlich Anwendung von § 177 Abs. 9 StGB ist grundsätzlich möglich, sofern ausnahmsweise kein Regelfall vorliegt. Sowohl für die Widerlegung der Indizwirkung als auch für die Annahme eines minder schweren Falles sind die gleichen Umstände maßgeblich.
- Bei der Verwirklichung eines Regelbeispiels sind die Versuchs- und Rücktrittsregeln nicht anwendbar. Bei der schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 7 StGB handelt es sich um einen auf alle vorgelagerten Tatbestände bezogenen Qualifikationstatbestand, der dem des schweren Raubes entspricht. Gleiches gilt für die besonders schwere Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 8 StGB.
- Für die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei mehrfach hintereinander begangenen Vergewaltigungen gemäß § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB kommt es nach der Rechtsprechung des BGH (4 StR 516/
17) maßgeblich darauf an, ob der Nötigung des Tatopfers ein einheitliches Handeln des Täters zugrunde liegt. Bei einheitlicher Gewaltanwendung liegt wie bei fortgesetzter oder fortwirkender Drohung trotz mehrfach erzwungener Beischlafhandlungen nur eine Tat im Rechtssinne vor.
Welches Verhalten ist strafbar?
- In § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB wird nicht nur der Beischlaf erfasst, sondern auch ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn die sexuellen Missbrauchshandlungen mit dem Eindringen in den Körper, also oral oder anal, verbunden ist.
- Geschlechtsverkehr ist mit dem Eindringen des männlichen Gliedes in den Scheidenvorhof der Frau vollendet. Tatmittel können aber auch andere Körperglieder oder Gegenstände sein. Tatbestandlich kann auch ein Eindringen in den Körper des Täters durch Handlungen des Opfers sein.
- Eine besondere Erniedrigung liegt vor, wenn das Opfer in gravierender Weise zum bloßen Objekt sexueller Willkür des Täters herabgewürdigt wird und dies gerade in der Art und Ausführung der sexuellen Missbrauchshandlung zum Ausdruck kommt. Maßgeblich ist das äußere Geschehen. In der Person des Opfers liegende Umstände, wie beispielsweise die Eigenschaft der Prostionsausübung, dürfen nicht herangezogen werden. Bereits das Eindringen mit dem Finger in die Scheide wird regelmäßig als besonders erniedrigend bewertet. Beim Einführen eines Dildos in den Mund des Opfers fehlt es dagegen an der besonderen Erniedrigung. Auch ohne Eindrigen in den Körper ist das erzwungene Verspeisen von Exkrementen tatbestandserfüllend. Wenn ähnliche sexuelle Handlungen zunächst einvernehmlich begonnen werden und die Geschäftsgrundlage später wegfällt, kann es bei einer Fortsetzung am Merkmal der besonderen Erniedrigung fehlen.
- Bei der Tatbegehung von mehreren gemeinschaftlich gemäß § 177 Abs. 6 Nr. 2 StGB ist das Zusammenwirken von zwei mittäterschaftlich agierenden Personen ausreichend. Es ist nicht erforderlich, dass alle Beteiligten in das sexuelle Geschehen eingebunden sind. Die Beteiligung Dritter kann sich auch als Anstiftung oder Beihilfe darstellen.
Was ist Aussage gegen Aussage?
- Insbesondere im Vergewaltigungsvorwürfen stehen sich oftmals die belastende Zeugenaussage des Opfers und die bestreitende Einlassung des Verdächtigen gegenüber.
- Nicht selten wird der Sexualkontakt an sich, sofern es sich nicht um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern handelt, aufgrund der insoweit häufig eindeutigen Beweissituation eingeräumt und es geht nur noch um die Frage der Einvernehmlichkeit. In derartigen Aussage gegen Aussage Konstellationen ist daher die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen.
Glaubwürdigkeit
- Bei der allgemeinen Glaubwürdigkeit handelt es sich um eine dauerhafte personale Eigenschaft.
- Hier geht es um die Frage, ob man einem Zeugen insbesondere aufgrund seines Charakters, seines Rufs und seiner sozialen Stellung hinsichtlich sonstiger Angelegenheiten außerhalb des Strafverfahrens grundsätzlich Glauben schenken kann.
- Die allgemeine Glaubwürdigkeit eines Zeugen kann daher allenfalls ein Indiz für die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage sein und spielt im Rahmen der Beweiswürdigung somit eine nur untergeordnete Rolle.
Glaubhaftigkeit
- Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage ist ureigenste Aufgabe des Gerichts. Nur in Ausnahmefällen kann es geboten sein, einen Sachverständigen hinzuzuziehen.
- So ist bei psychischen Auffälligkeiten in der Person eines Zeugen, deren Beurteilung die Sachkunde des Gerichts übersteigt, ein Psychiater zur Frage der Aussagetüchtigkeit einzuschalten. Gleiches gilt bei Einschränkungen der Aussagetüchtigkeit aufgrund des kindlichen Alters eines Zeugen, wobei insoweit dann der Kinderpsychologe das geeignete Hilfsmittel ist.
- Bei der Glaubhaftigkeit geht es um die Aussage eines Zeugen. Insoweit werden die Angaben anhand von Realitätskriterien und Warnsignalen im Wege einer Aussageanalyse untersucht, um auf diese Art und Weise festzustellen, ob die Angaben auf einem tatsächlichen Erleben beruhen.
Aussageanalyse
- In der Aussageanalyse ist Ausgangspunkt das methodische Grundprinzip, einen zu überprüfenden Sachverhalt so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Bei der Beurteilung von Zeugenangaben wird daher zunächst die Hypothese aufgestellt, dass eine Aussage unwahr ist. Man spricht insoweit von der Unwahrhypothese.
- Zur Prüfung dieser Annahme sind weitere Hypothesen zu bilden. Ergibt die Prüfung dieser Hypothesen, dass die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so ist sie zu verwerfen und von der Alternativhypothese, nämlich dass die Aussage wahr ist, auszugehen.
- Die Unwahrhypothese kann widerlegt werden durch kumuliert auftretende Realitätskriterien, welche empirisch überprüft, trotz lediglich eingeschränkter Validität bei vereinzeltem Vorliegen, in der Gesamtheit indiziell für eine glaubhafte Aussage sprechen. Als Realkennzeichen gelten unter anderem der Detailreichtum einer Aussage, die Schilderung von Komplikationen, deliktstypischen Einzelheiten, individueller Prägung und begleitenden Gefühlen, die Verflechtung mit Angaben von anderen Geschehnissen, die wörtliche Wiedergabe von Gesprächen und das Nichtsteuerungskriterium, also die inhaltlich ungeordnete, nicht chronologische, sprunghafte Wiedergabe der Geschehnisse einschließlich der Fähigkeit, an verschiedene Punkte des Geschehens springen zu können.
- Bedient sich das Gericht insoweit eines Sachverständigen, fällt dies in den Kompetenzbereich eines Aussagepsychologen. Grundsätzlich wird das Gericht jedoch die Glaubhaftigkeit von Angaben eines Zeugen, der aussagetüchtig ist, selbst beurteilen können. Das gilt auch für die Konstellation Aussage gegen Aussage. Hier ist die Aussage des Zeugen allerdings einer besonders sorgfältigen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen.