Tötung auf Verlangen
- Bei der Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB handelt es sich um einen Privilegierungstatbestand, der die Anwendung der §§ 211, 212, 213 StGB ausschließt. Die Tötung auf Verlangen ist das einzige Vergehen unter den vorsätzlichen Tötungsdelikten. Der geringe Strafrahmen greift selbst dann ein, wenn Mordmerkmale verwirklicht sind. Der Vorwurf begründet auch nicht die Zuständigkeit des Schwurgerichts.
- Die Vorschrift erzeugt eine Einwilligungssperre. Voraussetzung ist allerdings ein ausdrückliches und ernstliches Tötungsverlangen des Opfers, das den Täter zur Tat bestimmt hat. Das Tötungsverlangen kann auch in Gesten vermittelt werden. Es muss aber wie bei der rechtfertigenden Einwilligung auf einem frei verantwortlichen Entschluss des Opfers beruhen. Das Tötungsverlangen muss für den Täter außerdem handlungsleitend gewesen sein.
Beihilfe zum Suizid?
- Grundsätzlich gilt ein Fremdtötungsverbot. Lediglich die Selbsttötung ist straflos.
- Auch die Veranlassung, Förderung oder fahrlässige Ermöglichung eines freiverantwortlichen Suizids erfüllt keinen Straftatbestand.
- Eine Selbsttötung liegt vor, wenn der Sterbewillige nach Abschluss der Mitwirkungshandlung noch die Entscheidung über Leben und Tod besitzt.
- Freiverantwortlichkeit setzt eine defektfreie Willensbildung voraus.
- Problematisch sind Fälle, in denen der Mitwirkende nach dem Bewusstseinsverlust des Suizidenten die Möglichkeit erlangt, dessen Tod zu verhindern. Als Unterlassungsgarant könnte der Teilnehmer aufgrund des Tatherrschaftswechsels nunmehr neben der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB auch einen Totschlag gemäß § 212 StGB verwirklicht haben.
Direkte Sterbehilfe?
- Die direkte Sterbehilfe ist verboten. Unter direkter Sterbehilfe versteht man jede beabsichtigte und durch aktives Tun verursachte auch nur geringfügige Lebensverkürzung.
- Sofern der Sterbehilfe ein Tötungsverlangen des Opfers zugrunde liegt, ist zumindest eine Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB gegeben.
Indirekte Sterbehilfe?
- Unter indirekter Sterbehilfe versteht man die aus ärztlicher Sicht notwendige Leidenslinderung durch Verabreichung von geeigneten Medikamenten beim Sterbenden mit der unbeabsichtigten und unvermeidbaren Nebenfolge einer Lebensverkürzung.
- Ein Sterbender ist eine Person, bei der eine oder mehrere vitale Funktionen unumkehrbar versagt haben und der Todeseintritt zeitnah zu erwarten ist.
- Soweit die medikamentöse Schmerzlinderung im Einklang mit dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Sterbenden steht, ist diese Vorgehensweise gemäß § 34 StGB wegen Notstand gerechtfertigt.
Passive Sterbehilfe?
- Unter passiver Sterbehilfe versteht man das Unterlassen oder Abbrechen lebenserhaltender Maßnahmen beim Sterbenden.
- Der Abbruch einer medizintechnischen Lebenserhaltung durch den behandelnden Arzt wird als Unterlassen gewertet.
- Erfolgt der Behandlungsabbruch durch einen Dritten, wird dieser Vorgang als aktives Tun eingeordnet.
- Die passive Sterbehilfe ist strafbar als Totschlag durch Unterlassen gemäß § 212 StGB.
Behandlungsabbruch?
- Beim rechtfertigenden Behandlungsabbruch ist diese Unterscheidung jedoch nicht mehr erforderlich. Voraussetzung ist insoweit, dass die betroffene Person lebensbedrohlich erkrankt und die unterlassene oder abgebrochene Maßnahme medizinisch zur Erhaltung des Lebens geeignet ist.
- Das Verhalten des Sterbehelfers muss sich aber darauf beschränken, einen Zustand wiederherzustellen, der einem bereits begonnenen Krankheitsprozess seinen Lauf lässt.
- Außerdem ist erforderlich, dass der Behandlungsabbruch mit dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen der betroffenen Person erfolgt.
- Persönlich unterfallen diesem Rechtfertigungsgrund nicht nur Ärzte, Betreuer und Bevollmächtigte, sondern auch Dritte, soweit sie als hinzugezogene Hilfspersonen tätig werden.
- Problematisch sind Fälle, in denen die Sterbephase zwar begonnen hat, die betroffene Person aber irreversibel bewusstlos ist und ein tatsächlicher oder mutmaßlicher Wille nicht ermittelt werden kann. Noch schwieriger verhält es sich, wenn unter den vorstehend genannten Umständen der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat.
Patientenverfügung?
- Eine einwilligungsfähige Person kann durch eine Patientenverfügung festlegen, ob sie bei akut lebensbedrohlichen irreversiblen Körperschäden oder im Falle eines Wachkomas oder einer Demenzerkrankung mit bestimmten medizinischen und pflegerischen Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen, insbesondere Reanimationsmaßnahmen, künstliche Beatmung oder Ernährung, einverstanden ist. Eine wirksam errichtete Patientenverfügung bleibt auch dann verbindlich, wenn die betroffene Person zu einem späteren Zeitpunkt einwilligungsunfähig geworden ist.
- Zusätzlich können durch eine Vorsorgevollmacht bestimmte Personen legitimiert werden, dem Patientenwillen für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit Geltung zu verschaffen.
- Mittels Betreuungsverfügung kann auch eine Person benannt werden, die im Bedarfsfall zum Betreuer bestellt werden soll. Ohne Patientenverfügung kommt es auf die Einwilligung des Betreuers oder Bevollmächtigten an. Dieser muss dann den mutmaßlichen Willen ermitteln, insbesondere aus früheren mündlichen Äußerungen und allgemeinen Wertvorstellungen der betroffenen Person. Eine Zustimmung des Betreuungsgerichts ist nicht erforderlich, wenn mit dem behandelnden Arzt darüber Einigkeit besteht, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen des Sterbenden entspricht.
Abtreibung
- Die Strafvorschriften des ESchG beziehen sich auf Handlungen am Embryo außerhalb des Mutterleibes oder vor der Nidation. Ein Embryo ist die bereits befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der erforderlichen Bedingungen zu teilen und zu einem selbständigen Individuum zu entwickeln vermag.
- Durch den Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs gemäß § 218 StGB wird die Leibesfrucht geschützt. Ab der Einnistung in der Gebärmutter spricht man von Leibesfrucht. Bei der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 219a StGB und dem Inverkehrbringen von Abtreibungsmitteln gemäß § 219b StGB handelt es sich um abstrakte Gefährdungsdelikte.
- Die Tötungsdelikte gemäß den §§ 211 bis 222 StGB schützen das menschliche Leben. Geschütztes Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte gemäß den §§ 223 bis 231 StGB ist die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit eines anderen Menschen. Ab dem Beginn der Eröffnungswehen bzw. bei operativer Entbindung nach der Eröffnung des Uterus beginnt die Eigenschaft als Mensch im strafrechtlichen Sinne.
- Die Strafvorschriften des TPG schützen den Körper des Verstorbenen vor unzulässiger Organentnahme und Organhandel. Der irreversible und vollständige Ausfall aller Hirnfunktionen begründet schließlich die gesetzlich verankerte Eigenschaft als Verstorbener.
Schwangerschaftsabbruch?
- Unter Schwangerschaftsabbruch versteht man jede Einwirkung auf die Schwangere oder die Leibesfrucht, die das Absterben innerhalb oder außerhalb des Mutterleibes herbeiführt.
- Auch die noch lebende Leibesfrucht einer Verstorbenen unterfällt dem Schutzbereich.
- Alle fahrlässigen Handlungen der Schwangeren oder Dritter sowie Verhaltensweisen, die zur Schmerzzufügung oder Integritätsbeeinträchtigung führen, sind tatbestandlos.
- Für eine Abgrenzung zu den Tötungsdelikten kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die auf den Taterfolg gerichtete Handlung auf das Tatopfer einwirkt.
- Für Beteiligte an einem Fremdabbruch sind in § 218 Abs. 2 S. 2 StGB strafschärfende Regelbeispiele aufgeführt.
Regeln für Schwangere?
- Die Schwangere selbst unterfällt gemäß § 218 Abs. 3 StGB einem gemilderten Strafrahmen.
- Außerdem ist für sie gemäß § 218 Abs. 4 S. 2 StGB der Versuch straflos.
- Weiterhin ist sie gemäß § 218a Abs. 4 S. 1 StGB straflos, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung von einem Arzt vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind.
- Wenn sich die Schwangere zur Zeit des Abbruchs in besonderer Bedrängnis befunden hat, kann das Gericht gemäß § 218a Abs. 4 S. 2 StGB von Strafe absehen.
- Außerdem ist eine Bestrafung aus den Straftatbeständen der §§ 218b Abs. 1, 218c Abs. 1, 219b Abs. 1 StGB ausgeschlossen.
Regeln für Ärzte?
- Den im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft behandelnden Arzt trifft wegen des grundsätzlich unbefristet zulässigen Abbruches die Pflicht, Schädigungen der Leibesfrucht zu diagnostizieren, um eine entsprechende Entscheidung zu ermöglichen. Andernfalls kann die Pflichtverletzung zu einer Unterhaltshaftung des Arztes führen.
- Kommt es im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch unerwünscht zu einer Frühgeburt, darf selbst dann keine aktive Sterbehilfe geleistet werden, wenn das Neugeborene nicht lebensfähig ist.
Tatbestandslose Abtreibung?
- Eine Abtreibung ist gemäß § 218a Abs. 1 StGB tatbestandslos, wenn die Schwangere den Abbruch verlangt, dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff durch eine gemäß § 219 StGB anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle hat beraten lassen, der Abbruch durch einen Arzt vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
- Die Wirksamkeit der Aufforderung zu einem Schwangerschaftsabbruch richtet sich nach den Regeln der rechtfertigenden Einwilligung. Eine Minderjährige bedarf der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertretung. In Ausnahmefällen kann die Zustimmung auch durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.
Gerechtfertigte Abtreibung?
- Der mit Einwilligung der Schwangeren durch einen Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist gemäß § 218a Abs. 2 StGB ohne Fristbegrenzung gerechtfertigt, wenn er unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Verhältnisse Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
- Die mit Einwilligung der Schwangeren durch einen Arzt vorgenommene Abtreibung ist gemäß § 218a Abs. 3 StGB weiterhin gerechtfertigt, wenn noch nicht mehr als zwölf Wochen seit der Empfängnis verstrichen sind, nach ärztlicher Erkenntnis die Schwangere Opfer einer Vergewaltigung geworden ist und dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf der Sexualstraftat beruht.