Zurückstellung
- Wenn das Gericht gegen einen Drogenkonsumenten eine Freiheitsstrafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung verhängt hat, kann die Vollstreckungsbehörde nach § 35 Abs. 1 BtMG unter bestimmten Voraussetzungen eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gewähren.
- Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht ist der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter zuständig. Maßgeblich ist dann gemäß §§ 82 Abs. 1, 84, 85 Abs. 2 JGG der Aufenthaltsort des Verurteilten.
- Ansonsten ist gemäß § 451 StPO die Staatsanwaltschaft zuständig. Maßgeblich ist dann jedoch nicht der Aufenthaltsort des Verurteilten, sondern die örtliche Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörde im Erkenntnisverfahren.
- Voraussetzungen für eine Zurückstellung sind unter anderem die Therapiebereitschaft des Verurteilten sowie das Vorliegen eines Therapieplatzes. Erfordert die Behandlung in der Therapieeinrichtung eine Kostenübernahme, ist auch insoweit eine Kostenzusage des zuständigen Trägers vorzulegen.
Rechtskräftige Vollzugsstrafe?
- Ein Zurückstellungsantrag des Verurteilten setzt eine rechtskräftige Verurteilung voraus.
- Sofern eine angeordnete Strafaussetzung widerrufen und gegen den gerichtlichen Widerrufsbeschluss durch den Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt worden ist, muss ebenfalls die Rechtskraft dieses Verfahrens abgewartet werden.
- Die Zurückstellung der Strafvollstreckung ist nur dann zulässig, wenn entweder eine Verurteilung vorliegt, durch die gemäß § 35 Abs. 1 BtMG höchstens 2 Jahre Freiheitsstrafe oder gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 1 BtMG nicht mehr als zwei Jahre Gesamtfreiheitsstrafe ausgesprochen worden sind.
- Bei höheren Freiheitsstrafen darf der zu vollstreckende Strafrest gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 2 BtMG aufgrund von Teilverbüßung nicht mehr über der Obergrenze liegen. Eine mögliche Strafaussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe nach § 57 StGB ist für die Berechnung nicht maßgeblich.
- Bei mehreren Verurteilungen ist für jede gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Zurückstellung vorliegen.
- Eine Freiheitsstrafe, die aufgrund ihrer Höhe die Zurückstellung verhindert, kann unter Umständen vorweg vollstreckt werden.
- Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ändert nichts an der Zulässigkeit einer Zurückstellung.
- Die Zurückstellung führt nach § 36 BtMG zur Anrechenbarkeit der Dauer des Aufenthalts in der Therapieeinrichtung auf die Strafe und zur Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung ohne die Erledigung einer bestimmten Mindestverbüßungszeit.
Kausale Drogensucht?
- Daneben muss der Verurteilte die Straftat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen haben.
- Nicht erforderlich ist, dass der Tatrichter die Abhängigkeit im Urteil festgestellt hat. Zulässig sind auch andere Erkenntnisquellen.
- Bei der Straftat muss es sich nicht zwingend um einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) handeln, sondern es kommen insbesondere auch Delikte in Betracht, die der direkten oder indirekten Beschaffungskriminalität zuzuordnen sind.
- Nicht ausreichend ist eine bloße Alkoholabhängigkeit oder die Abhängigkeit von Arzneimitteln im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG) oder Dopingmitteln im Sinne des Anti-
Doping- Gesetzes (AntiDopG). - Die Abhängigkeit muss sich aber auch nicht ausschließlich auf Stoffe beziehen, die in den Anlagen I III zu § 1 BtMG gelistet sind. Erfasst sind auch polytoxikomane Personen, die in wechselnder Folge oder gleichzeitig Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu sich nehmen und von anderen Substanzen, insbesondere im Sinne des Neue-
psychoaktive- Stoffe- Gesetzes (NpSG), abhängig sind. - Weiterhin muss ein Kausalzusammenhang zwischen Drogensucht und Straftat bestehen, d. h. das Delikt müsste entfallen, wenn die Sucht hinweggedacht würde.
- Bei einer Gesamtfreiheitsstrafe müssen nicht alle abgeurteilten Taten auf der Betäubungsmittelabhängigkeit beruhen, sondern es kommt insoweit auf das Schwergewicht an.
- Nicht erforderlich ist, dass die Tat im Rausch oder unter Entzugserscheinungen begangen worden ist.
Rechtsweg?
- Wenn das Gericht die Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht schon in den Urteilsgründen befürwortet hat, muss die Staatsanwaltschaft nachträglich eine entsprechende Zustimmung einholen.
- Die Versagung der Zustimmung ist gemäß § 35 Abs. 2 BtMG nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung anfechtbar. Der Rechtsweg ist in den §§ 23 30 EGGVG geregelt.
- Gegen die Versagung der Zurückstellung ist gemäß § 24 EGGVG, § 21 StVollstrO zunächst eine Vorschaltbeschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft einzulegen.
- Sobald ein Ablehnungsbescheid vorliegt, kann beim zuständigen Oberlandesgericht ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung angebracht werden.
Widerruf?
- Der Verurteilte muss gemäß § 35 Abs. 4 BtMG die Aufnahme und die Fortführung der Behandlung nachweisen.
- Wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird, widerruft die Vollstreckungsbehörde gemäß § 35 Abs. 5 BtMG die Zurückstellung.
- Ein Widerruf ist auch gemäß § 35 Abs. 6 BtMG möglich.
- Gemäß § 35 Abs. 7 S. 1 BtMG kann nach Widerruf der Zurückstellung auch ein Haftbefehl erlassen werden.
- Gegen den Widerruf kann gemäß § 35 Abs. 7 S. 2 BtMG die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs herbeigeführt werden.
- Gegen diese Entscheidung ist binnen einer Woche die sofortige Beschwerde zulässig. Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch gemäß § 35 Abs. 7 S. 3 BtMG nicht gehemmt.
Strafzumessung
- Bei der Strafzumessung im weiteren Sinne ist zunächst der anzuwendende Strafrahmen zu bestimmen. Vertypte Strafmilderungsgründe können hier zu Strafrahmenverschiebungen führen.
- Verbrechenstatbestände im Betäubungsmittelstrafrecht eröffnen für minder schwere Fälle einen Sonderstrafrahmen. Diese Prüfung hat Vorrang. Daher sind auch die vertypten Strafmilderungsgründe einzubeziehen. Das gleiche gilt für die allgemeinen Strafmilderungsgründe.
- Die allgemeine Strafmilderungsgründe sind unabhängig davon auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu berücksichtigen. Darunter versteht man die Festlegung der Strafhöhe.
Allgemeine Milderungsgründe?
- Allgemeine Strafmilderungsgründe im Betäubungsmittelstrafrecht sind: Art, Menge, Wirkstoffgehalt, Gefährlichkeit, Verwendungszweck und Sicherstellung der Betäubungsmittel; Tatprovokation; polizeiliche Überwachung des Drogengeschäfts.
- Die unterschiedliche Gefährlichkeit von Betäubungsmitteln ist ein wesentlicher Strafzumessungsfaktor. Unterschieden wird zwischen harten Drogen (Heroin, Kokain) und Drogen mit mittlerer Gefährlichkeit (Amfetamin). Weiche Drogen (Cannabis) fallen nicht in den Anwendungsbereich des BtMG, sondern werden vom KCanG erfasst.
- Bei Drogenkurieren ist die transportierte Art, Menge und Qualität der Betäubungsmittel in der Regel vom Vorsatz umfasst.
- Die Menge der Betäubungsmittel hat neben dem Wirkstoffgehalt eine eigene Bedeutung, da sie das Geschäftsvolumen widerspiegelt. Die Menge und Wirkstoffmenge können aufgrund vorhandener Beweisanzeichen geschätzt werden.
- Bei einer geringen Menge Betäubungsmittel zum Eigenkonsum muss der Wirkstoffgehalt nicht ermittelt werden. Im Übrigen ist es nicht ausreichend nur die Qualität (sehr gut, gut, durchschnittlich, schlecht, sehr schlecht) zu benennen.
- Bei größeren Mengen genügt es, wenn auf Grundlage von repräsentativen Stichproben Hochrechnungen durchgeführt werden. Können keine hinreichend sicheren Feststellungen getroffen werden, ist von der Mindestqualität auszugehen.
- Amfetamin wird mit Wirkstoffkonzentrationen zwischen 5% und 80% gehandelt. Die durchschnittliche Qualität von Kokain liegt bei 30%.
Vertypte Milderungsgründe?
- Vertypte Strafmilderungsgründe führen bei gemäß § 49 StGB fakultativ oder obligatorisch zu einer Herabsetzung der zu verhängenden Strafe.
- Vertypte Strafmilderungsgründe sind das Handeln durch Unterlassen gemäß § 13 Abs. 2 StGB, der vermeidbare Verbotsirrtum gemäß § 17 S. 2 StGB, die verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB, der Versuch gemäß § 23 Abs. 2 StGB, die Beihilfe gemäß § 27 Abs. 2 S. 2 StGB, der Versuch der Beteiligung gemäß § 30 Abs. 1 S. 2 StGB und die Aufklärungshilfe gemäß § 31 BtMG.
Minder schwerer Fall?
- Bei vielen Verbrechenstatbeständen gibt es darüber hinaus für minder schwere Fälle einen Sonderstrafrahmen.
- Ein minder schwerer Fall ist gegeben, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem solch erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint.
- In die vorzunehmende Abwägung sind sowohl die allgemeinen Strafmilderungsgründe als auch die vertypten Strafmilderungsgründe einzubeziehen. Die allgemeinen Strafmilderungsgründe werden hierdurch nicht verbraucht, sondern sind bei der Strafzumessung im engeren Sinne erneut zu berücksichtigen.
- Ein vertypter Milderungsgrund darf gemäß § 50 StGB bei der Strafrahmenwahl zwar nur einmal berücksichtigt werden. Das gilt aber wiederum nicht für die Strafzumessung im engeren Sinne.
Nach der Rechtsprechung des BGH (4 StR 597/
- muss beim Zusammentreffen des Sonderstrafrahmens für minder schwere Fälle in § 30a Abs. 3 BtMG mit einem gesetzlich vertypten Milderungsgrund zuerst untersucht werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles rechtfertigen.
- sind bei Ablehnung des Vorliegens eines minder schweren Falles dann zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichten Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen.
- darf der konkreten Strafzumessung der wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderte Regelstrafrahmen erst dann zugrunde gelegt werden, wenn die Anwendung des milderen Strafrahmens weiterhin nicht eröffnet ist.
Nach der Rechtsprechung des BGH (4 StR 474/
- muss bei Annahme eines minder schweren Falles und gegebener Gesetzeskonkurrenz geprüft werden, ob der verdrängte Tatbestand eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe entfaltet, oder ob auch insoweit ein minder schwerer Fall anzunehmen wäre.
- bewirkt der Grundtatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 BtMG einschließlich des darin in § 29 Abs. 3 BtMG für besonders schwere Fälle eröffneten Sonderstrafrahmens insoweit keine Sperrwirkung.
Bestimmung konkreter Strafhöhe?
- Nach der Bestimmung des Strafrahmens erfolgt die Festlegung der Strafhöhe.
- Strafe darf dabei nur im Umfang der Schuld verhängt werden. Eine Strafe, die das für vergleichbare Fälle dieser Art übliche Maß erheblich über- oder unterschreitet, verstößt gegen das Gebot eines gerechten Schuldausgleichs.
- Bei mehreren Beteiligten müssen die jeweiligen Strafmaße in einem sachgerechten und nachprüfbaren Verhältnis zueinander stehen. Allerdings gibt es keine vergleichende Strafzumessung, wenn die Beteiligten durch unterschiedliche Spruchkörper abgeurteilt worden sind.
Nach der Rechtsprechung des BGH (1 StR 268/
- dürfen im Rahmen der Strafzumessung gemäß § 46 StGB Angaben des Angeklagten in Richtung auf Zeugen und Mittäter nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie eindeutig die Grenzen angemessener Verteidigung überschreiten und Rückschlüsse auf eine rechtsfeindliche Einstellung zulassen.
- dürfen daher auch Äußerungen über ein Tatopfer nur dann strafschärfend verwertet werden, wenn in ihnen eine über das Bestreiten der eigenen Schuld hinausgehende Ehrverletzung des Tatopfers gesehen werden kann.