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Schutzbefohlene » § 174 StGB
- Der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 StGB schützt die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen innerhalb bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse, die in typischer Weise die Gefahr der Ausnutzung aus sexuellen Motiven durch Autoritätspersonen begründen.
Was gilt für Obhutsverhältnisse?
- Täter nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann sein, wem eine Person unter sechzehn Jahren in einem Obhutsverhältnis anvertraut ist, kraft dessen ihm das Recht und die Pflicht obliegen, Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung des Schutzbefohlenen zu überwachen und zu leiten. Allein das Zusammenleben in einer häuslichen Gemeinschaft ist hierfür nicht ausreichend.
- Das Anvertrauen kann kraft Gesetzes, durch die Stellung oder aufgrund Übertragung durch den Erziehungsberechtigten bestehen.
- Bei Erziehungsverhältnissen genügt das Vorhandensein einer intern eingeräumten Befugnis, erziehungsrelevante Erlaubnisse und Verbote zu erteilen oder Strafen zu verhängen. Eine solche Mitverantwortung kann jederzeit beendet werden. Ein Lehrer ist auch hinsichtlich der nicht von ihm selbst unterrichteten Schüler als Erzieher anzusehen.
- Beim Ausbildungsverhältnis ist die Tat auch außerhalb der Ausbildungszeit und des Ausbildungsortes strafbar.
- Beim Betreuungsverhältnis wird eine Verantwortung für das körperliche und psychische Wohl des Schutzbefohlenen vorausgesetzt.
Was gilt für Arbeitsverhältnisse?
- Täter nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann sein, wem eine Person unter achtzehn Jahren in einem Obhutsverhältnis anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist.
- Ein Missbrauch der Abhängigkeit liegt nach der Rechtsprechung des BHG (4 StR 645/
17) vor, wenn der Täter offen oder versteckt seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzt, mit dem Ziel, sich diesen gefügig zu machen. Ausreichend ist aber auch, dass der Täter seine Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen erkennt und die auf ihr beruhende Abhängigkeit für sexuelle Übergriffe ausnutzt. Dieser Zusammenhang muss sowohl dem Täter als auch dem Opfer bewusst sein.
Was gilt für Familienverhältnisse?
- Täter nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB können Personen gegenüber ihren eigenen Abkömmlingen unter achtzehn Jahren und gegenüber den minderjährigen Abkömmlingen ihres Ehegatten oder Lebenspartners sein.
- Zwischen Täter und Opfer muss keine häusliche Gemeinschaft bestehen und es bedarf auch keines Abhängigkeitsverhältnisses.
Was gilt für Einrichtungen?
- Täter nach § 174 Abs. 2 StGB kann sein, wem in einer Einrichtung Personen unter achtzehn Jahren in einem Obhutsverhältnis anvertraut sind.
- Das Schutzalter ist in § 174 Abs. 2 Nr. 1 StGB unter sechzehn Jahren und in § 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB unter achtzehn Jahren.
- Das Tatopfer muss zu der Einrichtung in einem Rechtsverhältnis stehen.
- In § 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB muss der Täter unter Ausnutzung seiner Stellung handeln.
- Einrichtungen sind sind insbesondere Schulen, Ausbildungszentren, Heime und Krankenhäuser.
Welches Verhalten ist strafbar?
- Die Tathandlungen unterscheiden sich zum einen nach der Art und dem Gewicht, zum anderen nach dem Zusammenhang mit dem Obhutsverhältnis oder nach zusätzlichen Motivationen.
- Es sind sowohl sexuelle Handlungen mit Körperkontakt als auch ohne strafbewehrt.
- Wenn die Tat gleichzeitig eine exhibitionistische Handlung darstellt, ist für die Frage der Bewährung die Sonderregel gemäß § 183 Abs. 3 StGB zu beachten.
Gefangene » § 174a StGB
- Beim sexuellen Missbrauch von Gefangenen gemäß § 174a Abs. 1 StGB ist geschütztes Rechtsgut die Erhaltung der störungsfreien Funktion der Anstalt.
- Opfer kann nicht nur sein, wer in der Anstalt selbst, bei der Außenarbeit oder bei einer Ausführung behördlich überwacht wird, sondern auch derjenige, welcher sich bei der unbeaufsichtigten Außenarbeit, im Urlaub, im Ausgang oder im offenen Vollzug befindet.
- Auf das Einverständnis des Gefangenen kommt es nicht an. Der Tatbestand kann sogar erfüllt sein, wenn die Initiative vom Opfer ausgegangen ist oder der Täter sexuell hörig gewesen ist.
Was ist Abhängigkeitsverhältnis?
- Voraussetzung ist ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Opfer und Täter. Es kommt jedoch nicht darauf an, ob sich der Gefangene abhängig gefühlt hat.
- Mit der Beaufsichtigung betraut sind insbesondere die Angehörigen des Wachpersonals. Geistliche und Krankenpfleger kommen als Betreuer in Frage. Lehrer können Erzieher oder Ausbilder sein.
- Eine konkrete Abhängigkeit ist zwar nicht erforderlich, ein Missbrauch der Stellung kann aber auch nicht allein aus dem Obhutsverhältnis abgeleitet werden.
- Bei der Beurteilung sind vielmehr die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Je ausgeprägter das Abhängigkeitsverhältnis ist, je mehr Befugnisse und Weisungsrechte dem Täter gegenüber dem Gefangenen zustehen, umso näher wird im Allgemeinen die Annahme tatbestandsmäßigen Verhaltens liegen, wenn es zu sexuellen Handlungen kommt.
- Je geringer und schwächer sich die Befugnisse des Verantwortlichen gegenüber dem Gefangenen gestalten, je weniger deren Beziehungen durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis geprägt sind, umso eher sind Fälle denkbar, in denen die Stellung des Täters für die Mitwirkung des Gefangenen an den sexuellen Handlungen ohne Bedeutung ist oder in ihrer Bedeutung in den Hintergrund tritt, mit der Folge, dass die Annahme eines Missbrauchs der Stellung ausscheidet.
- Gleiches kann — unabhängig von der Intensität des Abhängigkeitsverhältnisses — gelten, wenn die sexuellen Handlungen im Rahmen einer echten Liebesbeziehung stattfinden.